piwik no script img

SAUEREIEN

■ Heiner Müller las unter Grützkes „Pornographischen Mitteilungen“

Kongenial zu den Kunststopfereien Grützkes in der Caf'e -Galerie „Mora“ las unser sächsischer Warhol Heiner Müller neulich einige analerotische Passagen aus De Sades „120 Tage von Sodom“ vor: „Er läßt den Sohn scheißen und nimmt die Brüste der Mutter und wischt damit den Arsch des Sohnes ab und ißt die Scheiße dann, usw.“ (Gelächter!) Dazu Gliederungs-Anmerkungen von De Sade und dann Müllers Erklärung: „Das geht endlos weiter so. Es gibt keine Hintergedanken dabei, das vorzulesen. Das schöne an dem Text ist, man kann das vier Tage vorlesen, es bleibt langweilig. Der Sinn war, zu zeigen, daß die Zeichnungen von Grützke Produkte eines harmlosen Pornographen sind, der ich auch bin.“

Für diese 14-Minuten-Lesung hatten sich sämtliche Müller -Fanclubs und -Claqueure der Stadt eingefunden. Zwei vertrieben uns sofort vom Tisch nahe des Mikrophons: „Laß uns hier Platz nehmen, da kann man ihm vom Mund ablesen“. Anschließend kam gleich eine französische Journalistin angewackelt und wollte Müller über die „Mauer-Problematik“ interviewen - ausgerechnet: „Ach, du Scheiße“, stöhnte „Deutschlands größter Dramatiker“ (Selbsteinschätzung) denn auch. „Diese ewigen Mauergeschichten, und Mauerspringer - da wird doch bloß mit der Wurst nach der Mauer geworfen. Man muß diesen Todesstreifen endlich mal als deutsch-deutschen Glücksfall betrachten.“

„Warum leben die besten deutschen Dichter im Osten?“ fragte die Journalistin sodann. Müller: „Weil nur die Gegenwart gilt - keine Vergangenheit, keine Zukunft (Erinnerung und Erwartung). Im Osten schaffen sie das nicht, deswegen ist dort bessere Literatur möglich.“ Zum Schluß kam man noch auf Wilson und Zadek zu sprechen. Mit dem völlig auf der sinnabgewandten Seite operierenden Wilson arbeitet Müller zusammen, derweil Grützke auf Zadeks Halbseidenes schwört; während die Sinngeber alle Wilsonstücke mit Bedeutung aufladen und die Geilhuber sich massenhaft nach Zadek-Revuen entladen. Uns, die wir das alles für Theater halten, blieb leider nichts von diesem Teil des Interviews in Erinnerung. Dafür können wir hier aber mit einem wunderschönen analerotischen Photo des Interviewten aufwarten, das uns an jenem Abend Wolfgang Krolow übereignete.

H. Höge

Die „pornographischen Mitteilungen“ von Johannes Grützke sind noch bis 15.8. im Cafe Mora, Großbeerenstr. 58 ausgestellt.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen