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„Gemeinschädliche Sachbeschädigung“

■ Viermal „Tschernobyl“ auf den Straßen der Wesermarsch - und vor Gericht

Mit Anklagen vom Vorwurf der einfachen Sachbeschädigung bis hin zum gefährlichen Eingriff in den Straßen-oder Schienenverkehr haben sich Bombenzug- oder Anti-AKW-bewegte BremerInnen in der Wesermarsch immer schon beschäftigen müssen. Mit einem Novum, der „fortgesetzten gemeinschädlichen Sachbeschädigung“, beschäftigte sich gestern das Schöffengericht in Brake.

Gemeinschädliche Sachbeschädigung begeht, wer eine Sache in ihrem öffentlichen Nutzen beschädigt. Die „Sache“ war die Straße vom Fähranleger Lemwerder zum AKW Esenshamm, die Beschädigung war das viermalige Aufbringen des Schriftzuges „Tschernobyl“ auf der Fahrbahn. Tatzeit: der frühe Morgen des Tschernobyl-Jahrestages 1987. Die TäterInnen, von der Polizei erwischt und geständig: drei Frauen und ein Mann aus Bremen.

Die vier hatten an jenem Morgen die Autofähre nach Lemwerder genommen, um gegen sechs Uhr ihre Mahnwachen-Schicht vor dem Atomreaktor Esenshamm anzutreten. Ein Jahr zuvor war das AKW in der Ukraine in die Luft geflogen und hatte in fast ganz Europa für radioaktiven Fallout gesorgt. Gleich beim Malen der ersten Parole, die daran erinnern sollte, zeigte sich ein Daimler-Fahrer (Klöckner-Spätschicht) nicht von Tschernobyl betroffen, sondern vom unrechten Tun der Vier. Er benachrichtigte das Fährpersonal und dieses wiederum die Polizei, die die AKW-GegnerInenn nach drei weiteren „Tschernobyl„s stoppte.

Es folgte ein Ermittlungsaufwand wie bei einem Mordprozeß denn wo war der Zeuge Daimler-Fahrer? Während die Bestechungen im AKW Esenshamm und die Transnuklear-Skandale hohe Wellen schlugen, fragte die Polizei bei den Fährleuten nach und bei der Klöckner-Personalabteilung. Die Fährleute selbst suchten, wurden aber nicht fündig, derweil ein Sachverständiger die Identität der Farbe auf dem Asphalt mit der im Auto der TäterInnen feststellte. Schließlich stellte sich heraus, daß der Daimler-Fahrer bei einer der Klöckner -Fremdfirmen beschäftigt war.

Vor Gericht brauchte er nicht noch einmal auszusagen, denn die drei Frauen waren geständig (ihr Mittäter ist in Urlaub, doch das Urteil gilt auch für ihn). Von den ausführlichen Erklärungen der drei Frauen, die ihre vergleichsweise winzige Aktion mit dem verglichen, wohin die Nutzung der Atomkraft führt, zeigten sich zumindest die beiden Schöffen und der Staatsanwalt beeindruckt. Der war schließlich bereit, das Verfahren gegen „Schadenswiedergutmachung“ einzustellen, während Richter Korte zu erkennen gegeben hatte, daß er eine zusätzliche Geldbuße für angemessen halte.

Das Gericht entschied schließlich auf Einstellung des Verfahrens gegen die Kosten der viermaligen „Demarkierung“ 240 Mark. Die Markierung, erklärte eine der Angeklagten, gehöre zumindest in Bremen „zur städtischen Kommunikation.“ Schließlich seien Parolen, die etwa zur gleichen Zeit in Bremen-Nord entstanden seien, nie übermalt worden und jetzt noch erkennbar. Ort: Die Strecke zwischen der Autobahn und dem Fähranleger Vegesack. Text: „Tschernobyl“.

mc

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