: Arbeitslose Staatsanwälte, die nicht vergessen können
„Bei uns gilt die Leitlinie, daß wir schlichten Hausfriedensbruch tolerieren“, hatte der damalige Leiter der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft und heutige Senatsrat für Polizeiangelegenheiten, Klaus Müller, 1981 vollmundig getönt. Die Praxis der Strafverfolgung von HausbesetzerInnen hat Herrn Müller jedoch Lügen gestraft: Nach Angaben der Justizpressestelle sind mehr als 400 Personen mit Anklagen oder Strafbefehlen wegen einfachen Hausfriedensbruchs im Zusammenhang mit der Hausbesetzerzeit überzogen worden.
„Alle nach Müllers Linie“, behauptet Justizsprecher Kähne, denn nur „die besondere Intensität des Hausfriedensbruchs“ sei von der Staatsanwaltschaft verfolgt worden. So bezöge sich die Strafverfolgung nur auf Personen, die mehrfach von der Polizei bei Durchsuchungen in den besetzten Häusern angetroffen worden seien.
Das gleiche gelte für Personen, die in „verbarrikadierten Häusern“ mit „eingeseiften Treppenstufen“ oder ähnlichem angetroffen worden seien, und auf solche, die sich in Häusern aufgehalten hätten, „aus denen Straftaten verübt wurden“. In diesem Zusammenhang nannte Kähne unter anderem auch das KuKuCK.
Das KuKuCK ist tatsächlich ein gutes Beispiel, allerdings für die unerbittliche und willkürliche Strafverfolgung von HausbesetzerInnen und Sympatisanten. So flatterte rund 50 von mehr als 100 Personen, die im Laufe der Jahre bei Durchsuchungen in dem Kreuzberger Kultur-Centrum angetroffen worden waren, nach der Räumung ein Strafbefehl über 200 Mark wegen einfachen Hausfriedensbruchs ins Haus. Einige der Betroffen verzichteten von vorn herein auf Widerspruch und zahlten. Andere gaben auf, nachdem sie vom Amtsgericht verurteilt worden waren.
Nur eine 31jährige Frau setzte sich durch alle Instanzen zur Wehr. Sie wurde in diesem Frühjahr, fast vier Jahre nach der Räumung des KuKuCK, vom Landgericht rechtskräftig freigesprochen, weil der frühere Eigentümer des Hauses in der Anhalter Straße, Wesenburg, keinen wirksamen Strafantrag gestellt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte sogar noch gegen dieses Urteil Revision eingelegt und diese erst einen Tag vor Ablauf der Begründungsfrist zurückgezogen.
Daß sich hinter der Strafverfolgung in Sachen Hausfriedensbruch noch ein anderer Grund verbirgt, als der von Justizsprecher Kähne benannte, vermutete der Anwalt der 31jährigen Frau, Kliesing: „Arbeitsbeschaffung für arbeitslos gewordene Staatsanwälte, die nicht vergessen konnten.“
Bezeichnenderweise, so Anwalt Kliesing, seien die meisten Anklagen erst in den Jahren 1984 und '85 gegen die Besetzer längst geräumter Häuser erhoben worden.
plu
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