„Chicago live“ in Moskau

■ Berichte über organisiertes Verbrechen in der UdSSR

Berlin (taz) - Den Sowjetbürgern verschlägt es die Sprache. Was im staatlichen Kino nicht gezeigt werden darf und nur als Schwarzvideo die Runde macht, gibt es mitten in der russischen Hauptstadt - das organisierte Verbrechen: Bestechung, Hehlerei, Zuhälterei, Drogenhandel und organisierten Mord.

Bereits für 30.000 Rubel (umgerechnet 90.000 Mark nach offiziellem Kurs, 12.000 Mark bei Schwarzumtausch) kann man sich einen Berufskiller bestellen, werden Direktoren staatseigener Kolchosen umgelegt, die nicht bereit sind, Bestechungsgelder an die „ehrwürdige Gesellschaft“ zu entrichten, meldete dieser Tage das Gewerkschaftsblatt 'Trud‘. Anlaß: die Beerdigungsfeiern des Sowjet-Al-Calpone „Väterchen Kucholoria“ („Kleiner Pate“) auf dem Moskauer Prominentenfriedhof Wagamkowskoje.

Im Handumdrehen hatte die „Gesellschaft“ eine Grabstätte in der Nachbarschaft der Literaturgrößen Sergej Jesjenjin und Wladimir Wjsocki für ihren Boss organisiert, wo selbst Politbürogrößen schwer eine ewige Ruhestätte finden. „Wie ist das möglich?“, fragt 'Trud‘, da Kucholorias Verbrechen allgemein bekannt seien: Raub, Betrug, Bestechung und Drogenhandel. Dafür habe er einige Male hinter schwedischen Gardinen gesessen. Von der Anklage des bezahlten Mordes sei er nur wegen Mangels an Beweisen freigesprochen worden.

Über das Ausmaß des organisierten Verbrechens brachte das Gewerkschaftsblatt keine Angaben. Als vor Wochen das Jugendblatt 'Ogonjok‘ einen Zusammenhang zwischen Unterwelt und korrupten Parteibonzen offenlegen wollte, wurde die Ausgabe verboten.

R.Hofwiler