: Günstige Sozialprognose
■ Zwei Wochen Freiheit nach zwei Jahren Knast: Behörden schickten Ex-Drogenabhängigen für 42 Mark Sozialhilfe gegen seinen Willen direkt in die Drogenszene
Wer aus dem Knast kommt, hat's nicht leicht. Das wissen wir seit Fallada und aus demr Sozialkunde-Unterricht. Gleich doppelt schwer haben es jedoch Leute, die die JVA Oslebshausen mit dem Vorsatz verlassen, das neue Leben nicht nur straffrei, sondern auch drogenfrei anfangen wollen. Zum Beispiel Jürgen W.
Nach zwei Jahren kam W. vor zwei Wochen vorzeitig raus. Wegen guter Führung hätte man früher gesagt, heute sagt man „wegen günstiger Sozialprognose“. Schon vor seiner Entlassung hatte W. sich an die Bremer Straffälligenhilfe gewandt. Von der Initiative erhoffte sich W. vor allem, daß ihn nicht gleich der sein erster Weg in Freiheit wieder in die alten Fixer-Kreise führt, nämlich ins Sozialamt für Drogenabhängige. Tatsächlich bekommt W. von der Straffälligenhilfe Besuch in der Zelle und einen abschlägigen Bescheid: Für ihn sei man nicht „zuständig“. Denn wer vor zwei Jahren als Drogenabhängiger in den Knast gekommen ist, kommt nach unerbittlicher Behörden -Geschäftsverteilung als solcher auch wieder heraus, gehört also ins „Drogensozi“ und nicht in die Straffälligenhilfe. Immerhin gibt der hilfreiche Besuch den Tip, mit den Drogen -Sozial-Sachbarbeitern besondere Besuchszeiten zu vereinbaren, um nicht gleich in die alten Kreise zu geraten: „Das machen die!“
Das machen die nicht! Jürgen W. verbringt gleich den ersten Vormittag unter Heroinabhängigen und bekommt sage und schreibe 42 Mark Sozialhilfe. Als Unterkunft wird ihm die Zwei-Zimmer-Wohnung seiner 67jährigen Mutter empfohlen. Weitere
Hilfe, z.B. für Kleidung, wird davon abhängig gemacht, daß W. sich erstmal arbeitslos meldet, damit das Sozialamt seine „Investitionen in W.s Resozialisierung“ auch bestimmt von dem erwarteten Arbeitslosengeld zurückbekommt.
Ein paar Tage später und mit
Arbeitslosmeldung in der Tasche bekommt W. immerhin 290 Mark: „Hilfe zum Lebensunterhalt“ für einen ganzen Monat sowie einen Kostenübernahmeschein für eine Hose, ein Paar Schuhe, einen Pullover. Großzügig erklärt sich das Sozialamt bereit, seiner Mutter 40 Mark Miet
kostenzuschuß für seine Unterkunft zu überweisen.
Wenn nach zwei Wochen freier Behördenggänge W.s Sozialprognose jetzt weniger günstig ist, liegt das natürlich nicht an den Behörden. Wahrscheinlich sind die gar nicht zutändig.
kvr
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