: ÖFFENTLICHER BÄRENDIENST
■ Gaswärts, und nicht vergessen!
Sehr geehrter Kunde! Unser Beauftragter hat Sie heute mit der Absicht aufgesucht, unsere Forderung von 366,58 Mark zu kassieren oder für den Fall, daß keine Zahlung erfolgt, den Gaszähler zu sperren. Leider hat er Sie nicht angetroffen. Die Zählersperrung bzw. die Kündigung des Gasversorgungsvertrags können Sie nur dann abwenden, wenn sie den angegebenen Betrag unverzüglich zahlen. Hochachtungs Berliner Gaswerke (Gasag).“
Der Kunde wundert sich. Die 366,58 Mark sind seit über einer Woche bezahlt, kurz nach der ersten und einzigen Mahnung, die Buchung von Konto zu Konto beim Postgiroamt dauert höchstens vier Tage, die Gaswerke haben also ihr Geld. Wie seit 15 Jahren, denn der Kunde zahlt brav und regelmäßig im Zweimonats-Takt, und daß es dieses Mal eine Verspätung gab, lag an der Ferienzeit. Am 20. Juni wäre der Betrag fällig gewesen, Anfang Juli kam die Mahnung, am 16. Juli wurde überwiesen und am 18. abgebucht. Am 26. nun taucht gleich der „Beauftragte“ auf, um mit „Zählersperrung bzw. Kündigung des Gasversorgungsvertrags“ zu drohen. Ist bei dem „Eigentrieb von Berlin“ ein solches Loch in der Kasse, daß Außenstände selbst bei der treuen Stammkundschaft auf der Stelle eingetrieben werden müssen? Das kann nicht sein. Warum aber setzt man im Zeitalter des bargeldlosen Zahlungsverkehrs nach der ersten schriftlichen Mahnung gleich die Gorillas mit dem Sperrschlüssel in Trab?
Dem Kunden dämmert: Öffentlicher Dienst. Kein Unternehmen der Welt wird einem soliden Dauerkunden nach einer lapprigen Mahnung mit dem Inkasso-Dienst auf die Bude rücken. Man läßt den Computer ein zweites und ein drittes Mal mahnen, und selbst wenn das jeweils per Einschreiben geschieht, ist es billiger als ein leibhaftiger Eintreiber. Nun braucht sich ein Monopolbetrieb wie die staatseigenen Gaswerke um seine Kosten wenig Sorgen zu machen - geheizt und gekocht wird immer -, und was soll man mit den zahllosen festangestellten, quasibeamteten „Beauftragten“ auch machen, wenn wegen der vielen Einzugsermächtigungen kaum noch Aufträge anfallen? Man schickt sie los, sobald der „Gasversorgungsvertrag“ (den keiner der Versorgten kennt) grünes Licht gibt. Stumpfsinn, denkt der Kunde, aber was soll die Aufregung..., der kleine Gasmann muß schließlich auch leben. Doch dann, beim Fernsehen, überkommt den Kunden ein Zorn: Politiker, die sich dreimal die Woche an Freibier und Gratis-Schnitzel berauschen, steigern wegen gestiegener Kosten ihre Diäten ins fürstliche; Beamte, eine der langlebigsten Berufsklassen überhaupt, weigern sich, auch nur einen Pfennig Rentenbeitrag zu zahlen, und den nordrheinwestfälischen Abgeordneten steht für das neue Landtagsgebäude ein umfangreiches Umzugshandbuch zur Verfügung, Planskizzen, wie man Leitz-Ordner in Kisten verpackt... Die Gaskassiererei ist nur ein harmloser Abklatsch der dreisten Dumpfärschigkeit öffentlicher Dienste. Der Kunde ringt sich zu einem Beschwerdebrief durch und weiß schon vorher, daß es nutzlos ist - Öffentlicher Dienst kontrolliert den Öffentlichen Dienst, und wer hätte je gehört, daß das Berufsbeamtentum den Berufsbeamten endlich abschafft.
Mathias Bröckers
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