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Die Zigarren-WM

Erste Weltmeisterschaft der Luftschiffer  ■  PRESS-SCHLAG

Genau 150 Jahre alt wäre Reichspräsident Hindenburg in diesem Juli geworden. Mit seinem Namen ist nicht nur die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, sondern auch eine zweite Katastrophe verbunden: der Crash des Riesenzeppelins „Hindenburg“ 1937 in Lakehurst. Seit einigen Jahren werden die Riesenzigarren vornehmlich als fliegende Litfaßsäulen für Werbezwecke eingesetzt. Doch jetzt machen Hindenburgs Nachfahren auch sportlich ernst. Erstmalig nämlich steigen die Zeppeline der Welt zu einer offiziellen Weltmeisterschaft auf. Ab Sonntagmorgen brummen über das kleine Großherzogtum Luxemburg 19 Luftschiffe aus ganz Europa, den USA und China (von 40 weltweit) um den Titel.

Indes sind es nicht neue Hindenburgen mit hochexplosivem Wasserstoffgas im Leib, sondern flinke Ein- und Zweisitzer, aufgetrieben von heißer Luft. Die Veranstalter erwarten zu ihrem Avantgarde-Himmelsspektakel eine sechsstellige Zuschauerzahl zu Distanzrennen und Navigationskursen.

Die Wandlung der Branche vom Freizeitspaß skurriler Luftikusse zum Sportspektakel (mit entsprechendem Medieninteresse) gebiert neuen Ernst. Den Konstrukteuren der Luftschiffe geht es nicht nur um Preise und Titelruhm; sie wollen vor allem technologische Erkenntnisse darüber gewinnen, welches Modell am wendigsten tuckert. Die Eigentümer der Luftgetüme hoffen auf lukrative Werbehüllen.

Karl-Ludwig Busemeyer aus Aachen ist mit dem einzigen Einsitzer-Schiff der Republik dabei und wird in Pilotenkreisen als Titelfavorit gehandelt. Der 34jährige Heißlüfter hat sein 25-Meter-Halbtonnen-Monstrum mit neuer Elektronik, mit windschlüpfrigen Leitwerken und einem neuen Rudersystem ausgestattet. Kokett verrät er der Konkurrenz bezüglich der Leistungsfähigkeit seines Schiffes der Lüfte nur: „Top Secret“.

Noch mehr aber rätselt die Internationale der Luftschiffer über den chinesischen Szene-Neuling Ji-Bo Luo. Niemand hat bislang dessen selbstgebastelte Konstruktion „Mi Feng 6“ zu Gesicht bekommen. Busemeyer erinnert sich indes an das Ballon- und Zeppelintreffen 1985 beim heißluftbesessenen amerikanischen Verleger-Milliardär Malcolm Forbes. „Da“, sagt Busemeyer, „hat eine chinesische Delegation stundenlang wie verrückt meinen Zeppo gefilmt und fotografiert.“ Bislang ist nur wenig bekannt: das Gefährt wurde von einer Forschergruppe der „Universität für Aeronautik und Astronautik“ zu Beijing entworfen, Luo und Mi-Feng kommen mit der transsibirischen Eisenbahn, und: nach der WM wollen die Chinesen, um die hohen Transportkosten zu sparen, ihren Brummer verkaufen. Auch die veranstaltende „Commune Aerostatique“ in Luxemburg weiß nur zu berichten, die himmlische Zigarre aus dem Reich der Mitte sähe aus „wie eine Art Paddelboot“.

Bei diesem Mix der Elemente bleibt nur zu hoffen, daß es mit dem Planschen in der Luft ein gutes Ende nimmt.

Bernd Müllender

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