piwik no script img

Vom Zurechtrücken der Verhältnisse

Volleyball-Länderspiel der Frauen: Bundesrepublik Deutschland - USA 11:15, 8:15, 3:15  ■  Aus Berlin Matti Lieske

Bundestrainer Andrzej Niemczyk schwante vor dem zweiten Spiel gegen die USA nichts Gutes. „Die haben fünf Betreuer dabei, die werden alles genau analysiert haben.“ Und so war es auch. Nach der überraschenden Niederlage, der ersten überhaupt, gegen das „beste bundesdeutsche Team, das ich je gesehen habe“ (US-Trainer Taras Liskevych) zwei Tage zuvor in Hameln, hatten die Volleyball-Detektive aus San Diego/Kalifornien eifrig recherchiert und den Sand im Getriebe des Medaillenanwärters der Olympischen Spiele unnachsichtig entlarvt.

Am Samstag in Berlin gingen die Angreiferinnen etwas weniger wuchtig, dafür gezielter zu Werke und gaben der deutschen Abwehr so Anlaß zu ständiger Sorge. „Ein Volleyballspiel kann nur mit einer guten Abwehr gewonnen werden“, dozierte Niemczyk später, „und unsere Abwehr hat heute nicht gespielt.“ Der Block, neben der „psychischen Stärke“ (Niemczyk) Garant des Hamelner Erfolges, wurde entweder durch variantenreiche Kombinationen der Amerikanerinnen ausgespielt oder mit wuchtigen Schlägen einfach beiseite gewischt, die dahinter postierte Abwehr fand kein Mittel gegen die plazierten, auf sie herniederrauschenden Bälle.

Überragende Spielerin auf dem Feld war die neunzehnjährige Keba Phipps (1,91 m), gleichzeitig Supertalent und Enfant terrible des amerikanischen Teams. Mal schlug sie drein, als wolle sie einen Baumstamm mit bloßen Händen spalten, mal stupste sie den Ball gefühlvoll in eine während des Sprunges scharfsichtig erspähte Lücke in der deutschen Abwehr. Keba Phipps, die in den USA bereits als Nachfolgerin der legendären, 1986 während eines Spiels verstorbenen Flo Hyman gefeiert wird, war „mit dreizehn die Beste bei den Fünfzehnjährigen, mit vierzehn die Beste bei den 17jährigen“ (Liskevych). Nun halten sie viele für die beste Spielerin der Welt. „Aber das ist sie nicht“, meint ihr Coach, „noch viel zu unbeständig.“ Mit 16 kam Phipps ins Trainingszentrum nach San Diego und weigerte sich beharrlich, erst wie alle anderen aufs College zu gehen. „Wenn ich nicht zur Schule will, gehe ich nicht“, erklärte sie dem verdutzten Liskevych und teilte ihm mit, daß sie eine Karriere als Fotomodell anstrebe. Zähneknirschend nahm sie der Coach, der sonst Wert darauf legt, daß alle Spielerinnen eine abgeschlossene Ausbildung haben, schließlich trotzdem unter seine Fittiche und hofft seither, daß ihr der frühe Ruhm nicht zu Kopf steigt.

Hatten in Hameln noch 1.800 Menschen den deutschen Sieg bejubelt, kam in Berlin die erschreckend geringe Zahl von 600 Zuschauern in die Schöneberger Sporthalle. Taras Liskevych fand das allerdings völlig normal: „Zu Hause haben wir die meisten Zuschauer auch nicht in Chicago oder San Diego, sondern in Grand Junction (Colorado) oder Charlotte (North Carolina). Da wissen die Leute nichts über Volleyball, aber es ist sonst nichts los, und sie sind begeistert.“

Im ersten Satz konnte das BRD-Team noch einigermaßen mithalten, vermochte die an diesem Tag übermächtigen Gegnerinnen allerdings nicht in Gefahr zu bringen. Diese gaben währenddessen Anlaß zu hübschen Studien der Frauensport-Sprache. Während hierzulande ungehemmt von „Mannschaft“ und „Spielern“ die Rede ist, sind die Amerikanerinnen auch hier schon weiter: sie überraschten mit dem Anfeuerungsruf „Weiter so, Jungs!“

Und sie spielten weiter so, die Jungs. Im zweiten Satz erlahmte der Widerstand der Deutschen, im dritten war er gebrochen, die Volleyballwelt wieder im Lot. „Keine Stabilität“, klagte Andrzej Niemczyk, wurde von seinem Kollegen Taras Liskevych aber getröstet. Es müsse halt Schritt für Schritt vorangehen, und bis zur Europameisterschaft 1989 in der Bundesrepublik ist ja noch ein wenig Zeit, den Sprung zu neuen Ufern in Angriff zu nehmen (siehe Press-Schlag).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen