: Sind Comics zu Treblinka möglich?
■ Der kleine Hamburger Verlag „comicplus“ produziert sogenannte Funnies und Historiencomics. Was auffällt: Der Widerspruch zwischen Stoff und Form
Der Verlag ist klein, sein Renommee aber beachtlich: In der Popularität westdeutscher Comic-Verlage rangiert „comicplus“ hinter dem etablierten Carlsen-Verlag auf Platz zwei. Dabei existiert das Zwei-Mann-Unternehmen erst seit drei Jahren. Was Eckart Sackmann, früher Lektor beim Carlsen-Verlag, und Peter Hörndl, Graphiker, an Bildgeschichten reizt: ihre Vielfältigkeit, Variabilität und Entwick
lungsmöglichkeit.
Der kleine Verlag hat noch kleiner begonnen. Zwei Titel wurden im ersten Jahr herausgebracht. Seitdem ist die Produktion kontinuierlich ausgeweitet worden. Ein Schwerpunkt des Programms liegt auf lustigen Comics, sogenannten Funnies. Von „Umpah Pah“ (Goscinny/Uderzo), einem Asterix-Vorläufer, bis „Decker“ (de Jager/Stevenhagen) reicht das Spektrum. Auch im Angebot: Historiencomics, beispielsweise „Arno“, eine kleinekurze Bildgeschichte, die zur Zeit Napoleons spielt, oder die mystisch -kriminalistische „Aglaya„-Triologie der Österreicher Putzker und Nussbaumer, bei der es sich einmal nicht um einen Nachdruck handelt, sondern um eine Eigenproduktion. Ausländische Werke in Lizenz zu publizieren, ist im westdeutschen Comic-Geschäft dominierende Praxis.
Sein interessantestes Projekt hat der Verlag kürzlich in Angriff
genommen. Im Mai erschien der erste Band einer Comicversion von Martin Grays „Der Schrei nach Leben“. In dem Buch erinnert Gray sich an die Okkupation Warschaus durch die Nazis. Er war 14 Jahre alt, als die „Herrenrasse“ in die Hauptstadt Polens einfiel, und hatte als Jude einen bitteren Überlebenskampf zu führen. Paul Gillon, einer der angesehensten französischen Zeichner realistischer Comics, hat das Buch in Bilder umgesetzt, teilweise anhand von Fotodokumenten; das Szenario stammt von Patrick Cothias.
Auch „Der Schrei nach Leben“, dessen erster Band den Titel „Die Ameisen“ trägt, ist ein Historiencomic, einer, der versucht, über die Trivialität hinauszukommen, die man dem Genre, zu Recht, oft bescheinigt. Ist der Versuch geglückt? Genauigkeit im Faktischen zeichnet den Comic aus, er liefert präzise Informationen. Und er unterrichtet über ein Geschehen, das immer
noch wenig bekannt ist, vor dem man gern die Augen verschließt. Zudem vermeidet er Simplifizierung. Gray versagt sich einfach Freund-Feind-Schemata. Den Antisemitismus unter den Polen verschweigt er nicht. Auch die Comic-Autoren unterlassen Schwarz-Weiß-Malerei. Dennoch hinterläßt die Lektüre zwiespältige Gefühle. Die Zeichnungen, die aufs Unterhaltenwerden einstimmen, geraten in Widerspruch zu dem beklemmenden Stoff. Es ist, als ob sich der Stoff ständig auflehnte gegen die Trivialisierung, die das Medium ihm überzuspülpen versucht. Sind die Leiden, die die Juden von den Nazis erdulden hatten, wirklich darstellbar in einem Comic?
Die Fortsetzung des Berichts - „Das Ghetto“ - erscheint im November. Weitere Bände sollen folgen. Sicher wird auch die KZ-Haft Martin Grays geschildert werden. Die Frage stellt sich dann so: Sind Comics über Treblinka möglich?
Michael Pätsch
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