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„Aus Opfern werden Täter gemacht“

Interview mit Ralf Hirsch, ehemals (Initiative Frieden und Menschenrechte) und Rüdiger Rosenthal, Schriftsteller und früher in der Ost-Berliner Oppositionsszene engagiert  ■  I N T E R V I E W

taz: Woher kommt die heftige Auseinandersetzung um die Januar-Ereignisse?

Ralf Hirsch: Ein ganz wichtiger Punkt war sicher, daß es in der DDR eine unheimliche Solidaritätswelle wie noch nie gegeben hat. Davon wußten wir im Knast zwar nichts, aber für die DDR war es einfach was Neues. Das hat die Gruppen in ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt. Mit unserer Ausreise, vor allem den sehr unterschiedlichen Formen, gab es große Verunsicherung und schließlich absolute Enttäuschung. Empörung, Ärger und Mißverständnisse kann ich daher verstehen...

...und auch akzeptieren?

Ralf Hirsch: Von den Vorwürfen kann ich erst einmal akzeptieren, daß wir teilweise nicht gut vorbereitet waren auf eine Verhaftung. Das heißt nicht, daß bei den Hausdurchsuchungen strafrechtlich relevantes Material gefunden wurde, das war nicht der Fall. Aber innerlich waren wir nicht auf eine Verhaftung vorbereitet. Sicherlich wären wir sonst auf einen Prozeß eingegangen. Im Nachhinein mache ich mir selber Vorwürfe, daß ich im Knast hätte hart bleiben müssen. Der 'Friedrichsfelder Feuermelder‘ hat in vielen Punkten Recht. Weh tut mir daran, daß das so unsachlich passiert.

In welchen Punkten hat er Recht?

Rüdiger Rosenthal: Es stimmt, daß die Ausgereisten als politische Personen in den Knast kamen und als Privatpersonen herauskamen. Die Leute haben die politische Bedeutung ihrer Funktion im Gefängnis unterschätzt bzw. nicht angenommen. Freya Klier hat gesagt, „ich will nicht den Märtyrer spielen“. Es stimmt auch, auf die demoralisierende Wirkung der Ausreisen hinzuweisen.

Ralf Hirsch: Ich würde es nicht so radikal sagen, aber sinngemäß stimmt es. Ich bin verhaftet worden, weil ich Mitglied der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ war und nicht, weil ich der einfache DDR-Bürger Ralf Hirsch war, der irgendwo Schmalzstullen schmiert. Natürlich bin ich als Privatperson raus, weil ich annahm, draußen gebe es keine Solidarität. Ich glaube, da sind wir alle schwach geworden.

Warum hat sich die Auseinandersetzung auf bestimmte Personen zugespitzt, von denen man sich nun deutlich distanziert?

Ralf Hirsch: Ich werde zwar nicht direkt erwähnt, die Vorwürfe aber, warum wart Ihr so schwach, werden auch mir, uns allen gemacht. Bei Krawczyk und Klier hat sicher ihr Verhalten in den Westmedien eine große Rolle gespielt. Es kamen Vorwürfe wie Selbst-Show, oder daß es kein klares Eingeständnis gab: Ja, ich habe den Ausreiseantrag im Knast unterschrieben, weil ich aus dieser Situation heraus wollte.

Rüdiger Rosenthal: Die beiden gingen als erste in den Westen, so daß man ihnen vorwirft, sie hätten den Stein überhaupt erst ins Rollen gebracht. Wären sie standhafter geblieben, wären vielleicht auch die anderen nicht in die Bundesrepublik geschickt worden.

Wie steht Ihr zur Auseinandersetzung drüben?

Rüdiger Rosenthal: Vera Wollenberger hat recht, wenn sie Vergleiche zu Emigrationen früherer Zeiten zieht. Schon bei geringeren Schwierigkeiten sind Leute ins Ausland gegangen, ohne daß es solche Vorwürfe gab. Es muß jeder für sich entscheiden können, wie lange er die Druckmethoden des Staatsapparates akzeptiert. Wer den Leuten anderes aufoktroyieren will, läuft Gefahr, so etwas wie Parteidisziplin zu fordern.

Ralf Hirsch: Wer politisch engagiert ist, ist in erster Linie auch mal Mensch, mit allen Schwächen und Stärken. Das muß man akzeptieren. Einen Einheitstyp von kritischen DDR -Bürgern, die alle gleich standhaft und belastbar sind, haben wir halt nicht.

Rüdiger Rosenthal: Hier werden Opfer zu Tätern gemacht. Die Frage ist doch immer noch: Wer verfolgt wen, wer treibt wen aus dem Lande? Die Leute, die da gegangen wurden, sind die Opfer der Methode des Staatsapparates, sich der kritischen Geister in Richtung Westen zu entledigen. Nicht den Leuten, die sich jahrelang engagiert und widerstanden haben, muß man den Vorwurf machen als vielmehr denen, die sie ins Gefängnis sperrten, und auch den vielen , die sich nicht engagieren, die irgendwann in den Westen gehen und sich hier anpassen. Deshalb glaube ich auch nicht, daß die Gruppen die eigentlichen Verlierer der Januar-Ereignisse sind. Es ist die DDR-Gesellschaft, die ihr kritisches Potential ins Ausland exportiert.

Interview: Martha Sandrock

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