: 28.000 Mark Sozialhilfe privatisiert
■ Als die Schulden fürs eigene Häuschen stiegen, überwies Angestellter des Sozialamtes Frau und Mutter öffentliche Gelder
Auf der Anklagebank sitzt ruhig und gefaßt ein Häufchen Elend. Günter S., 50 Jahre, verheiratet, vier Kinder, Häuschen in Eigenleistung. Wenn Amtsrichter Peter Mertens ihn anspricht, hat Günter S. regelmäßig Mühe, nicht aufzuspringen, einen Diener zu machen und „sehr wohl, Herr Vorsitzender“ zu sagen.
Über 10 Jahre hat Günter S. sich auch als Sachbearbeiter im Sozialamt Blumenthal vorHilfs
bereitschaft überschlagen. So sehr, daß seine Vorgesetzten sich Sorgen machten'S. käme nicht mehr zu seiner eigenen Arbeit. Drei Jahre lang ahnte keiner der Kollegen, daß S. regelmäßig Sozialhilfe-Gelder aufs Konto seiner Frau und seiner Mutter überwies und sogar seine Rechnungen bei den Stadtwerken aus der Bremer Staatskasse bezahlte. 28.300 Mark und sechsundsechzig Pfennig auf diese Weise veruntreut zu
haben, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor, und Günter S. räumt in vollem Umfang ein, was sich ohnehin nicht mehr bestreiten läßt. Rund 25.000 Zahlungsanweisungen mit seiner Unterschrift haben S.‘ Vorgesetzte inzwischen überprüft. In 67 Fällen stimmten Konto-Nummer und angeblicher Empfänger nicht überein.
Das Verfahren ist einfach, und Sozialamts-Sachbearbeiter Günter S. ist kein Einzelfall, weiß die Staatsanwaltschaft und weiß auch S. selbst: Der Sachbearbeiter bewilligt eine besondere Hilfe zum Lebensunterhalt. Auf der Zahlungsanweisung vermerkt er Namen und Aktenzeichen eines seiner Klienten. So weit stimmt alles. Was nicht stimmt, ist die Nummer des Sparbuchs. Sie gehört zu einem Sparkonto, für das Sachbearbeiter S. selbst die Zeichnungsberechtigung besitzt. Zwar muß ein Vorgesetzter die Überweisung gegenzeichnen. Ein Routinevorgang, bei dem weder Berechnung noch Berechtigung der Zahlung überprüft wird. Selbst bei nachträglichen Stichproben in den Akten fällt nichts auf: Die Durchschriften der Anweisung vernichtete S. postwendend. Für das Sozialamt aktenkundig hat es die Überweisung damit niemals gegeben, der Originalbeleg verschwindet unter Hunderten von Buchungen, die die Landeshauptkasse täglich vornimmt, ohne Empfängernamen und Konto-Nummer miteinander vergleichen zu können.
Günter S. kam auf den Trick, als ihm das Wasser schon bis zum Hals stand. 2.800 Mark waren monatlich für Zins und Tilgung des eigenen Häuschens aufzubringen. Die Zinsen für Bausparkredite waren explodiert. 2.100 verdiente S. im Sozialamt. Dazu 370 Mark Kindergeld. Seine Frau
bekam für einen Halbtagsjob 600 Mark. Für den Lebensunterhalt blieb fast nichts. Als S. sich zum ersten Mal selbst „Sozialhilfe“ überwies, hatte die Sparkasse bereits mit der Zwangsversteigerung des Häuschens gedroht, das Girokonto war hoffnungslos überzogen, bei Günter S. türmten sich die Mahnungen von Baumaterial-Lieferanten, und die Stadtwerke drohten den Strom abzustellen.
Hinzu kommt „eine Alkoholproblematik, die bei S. auch schon vorlag“, bevor er begann, Steuergelder zu unterschlagen, wie die sachverständige Ärztin ausführt. Aus ständiger Angst, erwischt zu werden, hält S. es jetzt auch während der Dienstzeiten ohne Schnaps nicht mehr aus. Abends säuft er häufig bis zur Bewußtlosigkeit weiter. Auch davon merken die Kollegen im Amt kaum etwas. Ein Amstarzt merkt überhaupt nichts, als er S. wegen seiner nachlassenden Leistungsfähigkeit untersucht. Drei Jahre geht alles gut. Bis zum 19. Februar 1987. An diesem Tag verliert Günter S. vormittags seinen Job. In der Sparkasse ist erstmals aufgefallen, daß S. seiner eigenen Mutter Sozialhilfe überwiesen hat. Abends verliert S. seinen Führerschein. Mit 2,18 Promille hat er versucht, Angst und Frust und Nicht -mehr-weiter-wissen zu betäuben.
Seit diesem Tag ist S. „trokken“, hat eine Entziehungskur gemacht, zahlt als Arbeitsloser monatlich 375 Mark an die Landeshauptkasse, um den angerichteten Schaden wieder gut zu machen und ist seit gestern vorbestraft: Wegen „Veruntreuung im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit“ zu sieben Monaten Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung auf drei Jahre.
K.S.
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