Gutachter zerlegt Strahlenschutz

Im Auftrag der Düsseldorfer SPD-Landesregierung stellt der Strahlenmediziner Professor Horst Kuni fest: Wiederaufarbeitung vermehrt das ohnehin immense Gefahrenpotential der AKW-Nutzung auf Uranbasis  ■  Von Gerd Rosenkranz

Düsseldorf (taz) - Das „ohnehin immense Gefahrenpotential“ der AKW-Nutzung auf Uranbasis wird durch die Wiederaufarbeitung und damit durch den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft „deutlich vermehrt“. Zu diesem Schluß kommt der Strahlenmediziner Professor Horst Kuni, der im Auftrag der Düsseldorfer SPD-Landesregierung ein Gutachten mit dem Titel: „Die Gefahr von Strahlenschäden durch Plutonium - Konsequenzen für das Atom- und Strahlenschutzrecht aus medizinischer Sicht“ erstellt hat. Die Landesregierung hat das Gutachten in Auftrag gegeben, um im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um den Schnellen Brüter und die WAA Wackersdorf die herausragende Gefährlichkeit des „Plutoniumkreislaufes“ in Abgrenzung zu den normalen, mit Uran beschickten Leichtwasserreaktoren herauszustellen.

Nach Auffassung von Professor Kuni gibt es keinen Schutz vor den Wirkungen des Kernbrennstoffs Plutonium. Denn es kann im „lebenden Menschen“ erst nachgewiesen werden, wenn die heute gültigen, viel zu hohen Grenzwerte „um Größenordnungen“ überschritten sind. Die Einhaltung der Grenzwerte sei „nur nach Organentnahme (an der Leiche) zu kontrollieren“, schreibt der Professor für klinische und experimentelle Nuklearmedizin an der Universität Marburg in dem jetzt veröffentlichten Gutachten.

Vernichtend fällt die Kritik Kunis am gegenwärtig gültigen Strahlenschutzrecht aus. So müsse aufgrund neuerer Erkenntnisse unter anderem über die gesundheitlichten Auswirkungen der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki das für die Gesamtbevölkerung gültige 30-Millirem -Konzept „nahezu um das Zehnfache“, die zulässige Jahresdosis für die Beschäftigten in Atomanlagen „um noch weit mehr“ abgesenkt werden. Resigniert stellt Kuni jedoch abschließend fest, ein wirksamer Schutz der Arbeitnehmer sei „auch mit einem verbesserten rechtlichen Instrumentarium nach den heutigen Maßstäben der Arbeitssicherheit nicht zu gewährleisten“. Für die normale Bevölkerung gelte dies „in potenziertem Maß“.

Kunis Gutachten könnte die Betreiber des Schnellen Brüters und der WAAs in Schwierigkeiten bringen. Tatsächlich dominieren nach Kuni auf allen Stationen des Wiederaufarbeitungsprozesses die Plutonium-Isotope die gesundheitliche Gefährdung. Ein einziges Alphateilchen, das beim radioaktiven Zerfall von Plutonium frei wird, habe die Potenz, eine Krebserkrankung oder einen Erbschaden auszulösen. Die in Hanau genehmigte (inzwischen erhöhte) Plutonium-Umgangsmenge von 460 Kilogramm reiche theoretisch aus, um die Menschheit sechs- bis siebenmal umzubringen. Eine Gefährdung durch Plutonium ergebe sich auf allen Stationen des Plutoniumkreislaufes: bei der Produktion und Nutzung von Plutonium/Uran-Mischoxid-Brennelementen in Leichtwasserreaktoren, beim Betrieb Schneller Brüter, auf den Transportwegen, insbesondere jedoch in den WAAs selbst, deren bisherige Betriebserfahrungen den Nachweis erbracht hätten, daß „Störfälle eine charakteristische Begleiterscheinung ihres bestimmungsgemäßen Betriebs“ seien.