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Der Straßenkampf als Alibi

■ Bürgerkrieg in London, ein großes Aufgebot an Außenseitern und anderen Perversen: Stephen Frears „Sammy und Rosie tun es“ will mit dem Thatcher-England abrechnen. Das aber gelingt ihm nicht.

Schließlich kriegen sie sich doch noch alle. Vergessen die Straßenschlachten im Stadtteil der Entrechteten, vergessen der Dschungelkampf der modernen Metropole: Sammy und Rosie laden zu einer Party: „Wir runden die übliche Versammlung von sozialen Außenseitern, von Kommunisten, Lesbierinnen und Schwarzen gewöhnlich mit einer kleinen Gruppe geistig Abnormaler ab“, kommentiert Rosie die eintrudelnden Gäste, und dann finden sich in der illustren creme du gosse endlich drei Paare: Rafi und Alice, Danny und Rosie, Sammy und Anna.

Das wurde auch langsam Zeit. Die einen vögeln vornehm -keusch in gerüschten Nachthemden in einer Londoner Vorortvilla, die zweiten in einem nicht weniger exklusiven Studio direkt an der Themse, die dritten ganz unexklusiv, aber desto avantgardistischer in einem Wohnmobil unterhalb der Autobahn. Zu sechst auf der Leinwand in horizontaler Schichtung - eine cineastische Meisterleistung - im prüden England allemal.

Auch sonst gibt es im England unserer Tage, wie Stephen Frears es sieht, einiges zu bestaunen. Eine Schwarze wird hinterrücks von einem Polizisten abgeknallt. Und schon proben die Entrechteten von Brixton den Aufstand - zorniger als die hiesigen Kämpfer vor den WAA's. London in Flam

men. Die Polizei rückt an. Das scheint hier Tagesordnung zu sein, will Stephen Frears uns schön-anschaulich-gruselig vor Augen führen. Es tut sich was im Ghetto. Doch ganz glauben wir das nicht.

Mittenmang im Straßenkampf: Sammy und Rosie, die weder mitkämpfen noch interessiert am Geschehen vor ihrer Haustür sind. „Das ist hier unser Alltag“ klärt Sammy seinen erstaunten Vater auf, als handle sich das blutige Treiben um eine Ausflugsgesellschaft auf der Themse, und nimmt ihn zur Seite: „Wir wohnen hier gerne, weil wir hier mittendrin im Geschehen sind“. Der Vater gibt sich nicht gleich geschlagen. Er fordert den sofortigen Umzug seiner Kinder. Das kann man ihm nicht verübeln, obwohl, so schlimm wie in Beirut, von dem sie immer alle reden, geht es hier doch nicht zu, der Straßenkampf dient eher als Kulisse für die verzwickte Vater-Sohn-Beziehung, und nach zwei Tagen haben sich alle streetfighter wieder beruhigt, der äußere Frieden ist wieder hergestellt. Aber nicht der innere. Vater Rafi (Shashi Kapoor) greift zum Scheckbuch, um seinen Sohn weichzuklopfen. Doch glücklicherweise hat Rosie, die Sozialarbeiterin, ein politisches Bewußtsein, und hat dank der gewitzten Recherchen ihrer lesbischen Freundinnen erfahren, daß ihr Schwiegervater nicht nur ein

Bonze, sondern auch ein Potentat der pakistanischen Regierung war. „Folter und Mord für das Volk“, entsetzt sich Rosie, von diesem Mann, beschwört sie Sammy, nimmt sie keinen Penny an. Recht so.

Noch zu bestaunen: Das Paar Sammy und Rosie, für alle Beauvoir- und Sartre-Fans die Bilderbuch-Ehe, mit Freiheit und Verantwortung als Lebensmotto, aber dann hapert es bei genauer Hinsicht doch mit der Freiheit, als Rosie sich in Danny verliebt. Aber Sammy hat auch seine feste Liebhaberin, Gerechtigkeit muß sein. Man schläft zwar mit den anderen, aber einmal fragen sie sich, warum sich sexuelle Langeweile in ihre Ehe eingeschlichen

hat und warum das so sein muß. „Alles Hetero-Kram“, befinden die mitlauschenden Lesbierinnen, die es auch nicht besser können, und dann ist die Party schon in vollem Gang, auf zur nächsten Szene.

Punks, Yuppies, Schwarze, Schwule und irgendwie Perverse oder sonstige Außenseiter gehören zum Personal dieses Films, und alle sind in ihrem gemeinsamen Haß auf Maggie vereint. Dabei wirken sie alle wie Alibi-Figuren und oftmals wie bestellt und nicht abgeholt, genauso wie das Koks, das gekonnt selbstverständlich zum Hamburger geschnupft wird. Das ist eine feine Gesellschaft, die sich Stephen Frears da ausgedacht hat, und alle

treten sie den Kampf gegen bürgerliches Unrecht, vor allem aber gegen ihre eigene Spießigkeit an.

Der vielzitierte und bewunderte Haß von Regisseur Stephen Frears auf das England Margret Thatchers wirkt in der filmischen Übersetzung so plump und peinlich-aufgesetzt, daß man oft den Holzhammer auf seinem Haupte spürt. Die Spielzone in „My beautiful Laundrette“ (1985) wird in „Sammy und Rosie tun es“ zur stilisierten Kampfarena, in der alles verdächtig nach absichtlicher, doch nicht entschuldbarer Übertreibung riecht.

Ist das letzte Bürgerkrieg-Feuerchen erloschen, kommen die Bulldozzer, die das friedliche Wir-sind-alle-Außenseiter-und -deshalb-so-frei-Kubat-Dreieck unter der Autobahn dem Erdboden gleich machen. Das hat trotz aller Tragik auch sein Gutes, denn so begegnet Rafi seinem alter ego in Gestalt eines guten Geistes mit einer Grimasse und einer Augenbinde. Nun wird alles wieder gut. Und wie zum Beweis dafür, daß das Gute wirklich siegt, bringt er sich am Ende des Films um. Das hat auch wieder sein Gutes: In Trauer und Leid vereint, hocken Sammy und Rosie umschlungen auf dem Boden - die glaubwürdigste Szene dieses Films, aber dann ist er schon zu Ende.

Regina Keichel

Schauburg, 21 Uhr

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