: DEM DEUTSCHEN VOLKE?
Der Reichstag glühte noch von der untergehenden Sonne als sich Sonntagabend ca. 50.000 Menschen zum Konzert mit Yehudi Mehuhin ihren Lager aufschlugen. Es war ein wunderschöner warmer Sommerabend durch den sich die Klänge von Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 über das weite Rund ausbreiteten.
Yehudi Menuhin hatte sich angesichts des großen Publikums entschieden im Anschluß Beethovens 5. Symphonie zu spielen. Der erste Satz hatte gerade für Deutschland und den Platz am Reichstag, wo am 30.April 1945 der Kampf um Berlin sein Ende fand, seine besondere Bedeutung. Das Leitmotiv des Satzes war zugleich die Kennung der deutschsprachigen Sendungen des BBC während des Zweiten Weltkrieges. Nicht nur dieses verwies auf deutsche Geschichte. Yehudi Menuhin, Jude, war einer der wenigen Musiker, die sehr bald nach dem Krieg bereit und willens waren, wieder in Deutschland aufzutreten, um Rachegefühlen der damaligen Zeit durch eine ausgestreckte Hand entgegenzuwirken.
Nun stand der 72jährige wohl vor dem größten deutschen Publikum seiner Karriere und spielte ihnen eine der grandiosesten Stücke der deutschen Kultur- und Musikgeschichte. Unweigerlich stellte sich die Frage: „Wie kann ein Volk zu solchen musikalischen Hochleistungen gelangen und gleichzeitig die Abgründe von Auschwitz hervorbringen.“ Weiter: „Wie kann eine Stadt wie Berlin gleichzeitig Yehudi Menuhin zu einem großen Festspiel einladen, während sie das NS-Mitglied (seit 19337 Herbert von Karajan jahrzehntelang als Chefdirigent behält?“
Vielleicht haben Yehudi Menuhin und das Royal Philharmonic Orchestra mit Beethovens 5. Symphonie viele der Anwesenden zum ersten Mal für klassische Musik interessiert. Es wäre zu wünschen.
Ronnie Golz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen