„Das ist organisiertes Verbrechen“

■ Polizei-Hauptkommissar Wilfried Wurm versuchte bis 1987 als Leiter der „Sonder- Kommission Sau“ in Niedersachsen den Tierarzneimittelmarkt zu durchleuchten

I N T E R V I E W

taz: Herr Wurm, Nordrhein-Westfalens Umweltminister Matthiesen will auch nach dem neuen Hormonskandal weiter Kalbfleisch essen...

Wilfried Wurm: Ich tue das seit 1983 mit Sicherheit nicht mehr, und mit mir die meisten meiner Kollegen in der Sonderkommission.

Der graue Tierarzneimittelmarkt ist in der Vergangenheit mit dem internationalen Rauschgifthandel verglichen worden.

Der Vergleich ist durchaus berechtigt. Ein Unterschied besteht darin, daß derjenige, der Drogen nimmt, davon weiß. Bei den Tierarzneimitteln dagegen wissen Sie in der Regel nicht, auf welchem Weg Ihr Stück Fleisch in den Supermarkt gelangt, und was da drin ist. Heute erreicht praktisch kein Schwein und kein Kalb den Schlachthof, das nicht mit Arzneimitteln vollgepumpt ist.

Ist das, was abläuft, organisiertes Verbrechen?

Richtig. Wir haben schon 1983/84 einen sehr großen Verteilerring dingfest gemacht, der illegal mit Tierarzneimitteln handelte. Das lief unter dem Oberbegriff „organisierte Kriminalität“.

Sind Sie an die Hintermänner herangekommen?

Der Hauptlieferant war ein niederländischer Pharmagroßhändler. Er wurde in Zusammenarbeit mit den niederländischen Behörden dingfest gemacht. Der Großhändler konnte aufgrund der Bestimmungen des Tierarzneimittelgesetzes in der Bundesrepublik Arzneimittel in großem Umfang und preisgünstig einkaufen und ganz legal in die Niederlande exportieren. Nachts wurden sie dann über die grüne Grenze auf Schubkarren wieder eingeführt.

Gab es aufgrund dieses Falles Konsequenzen im Tierarzneimittelrecht?

Hinsichtlich des Arzneimittelexportes bis jetzt noch nicht. Das Arzneimittelgesetz wurde allerdings verschärft, so daß jetzt in schweren Fällen bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen sind.

Sind die verwendeten Präparate zugelassen?

Ja. Es handelt sich aber überwiegend um Präparate, die nur nach Verschreibung durch einen Tierarzt verabreicht werden dürfen. Auch weil Tierärzte teuer sind, besorgen sich Landwirte Medikamente auf dem schwarzen Arzneimittelmarkt.

Wer produziert eigentlich die Präparate?

Die ganze Palette der Pharmaindustrie von Bela-Pharm in Vechta über Bayer bis Hoechst.

Können die Produzenten wissen, was mit ihren Mitteln passiert?

Sie wissen, daß die Mittel exportiert werden. Ob sie auch im einzelnen informiert sind, daß sie wieder reimportiert werden, können wir nicht sagen.

Sind Sie überrascht über den Skandal in NRW?

Überrascht hat es mich nicht bei dem hohen Profit, den die Kälbermäster oder die Eigentümer durch die Hormone in der Kälbermast machen können. Wenn ich mich richtig erinnere, kann der Kälbermäster bei Verwendung von Hormonen durchschnittlich einen Mastdurchgang jährlich mehr produzieren.Bei nur 100 Kälbern sind das 100.000 Mark mehr im Jahr. Die großen Mäster haben tausend Kälber und noch mehr.

Interview: Gerd Rosenkranz