: „WE WON'T GO INTO THAT
Zum ungestörten Genuß des „Laurel & Hardy-Festivals“ im Filmkunst 66 ■ I. Gewalt
Komisch, daß manche Leute es witzig finden, wenn Laurel sich einen Nagel in den Fuß tritt, seinen Partner Hardy unter dem Gewicht eines Klaviers begräbt, ihm allerlei spitze Gegenstände ins Auge sticht oder mit einem Gewehr auf ihn schießt. Mütter werden von „Dick & Doof“ erbarmungslos angegriffen, Kinderwagen umgestürzt, Kinder verstoßen, die Unantastbarkeit von Heim und Familie verletzt. Die gleichen Leute, die sich sonst immer über „Gewalttätigkeiten“ auf der Leinwand oder sonstwo aufregen, etwa wenn ein Bauch von einem Stilett oder einer Maschinengewehrgarbe aufgeschlitzt wird, lachen sich bei „Dick & Doof“ halb tot. „Sie scheinen sich der Gewalttätigkeit, die in der Komik steckt, nicht bewußt zu sein“, sagte Jerry Lewis einmal. Womit nichts gegen Gewalt gesagt sein soll, sondern nur gegen den Vorgang der Verdrängung bei unseren sensiblen Seelchen.
II. „Anarchismus“
Die Gegenstände Laurel- und Hardyischer Destruktion sind von trivialster Alltäglichkeit: ein Auto, ein Haus oder ein Piano. Im klassischen Destruktionsfilm Big Business werden Piano und Haus von Laurel und Hardy bis auf die Grundmauern niedergemacht, während der erboste Besitzer ihr Auto vollständig demoliert. Ein diabolisch-lächelnder Polizist schreibt alles auf und lacht sich zum Schluß halb tot.
Henry Miller über Battle of the Century, den Film der 4.000 Sahnetorten: „Der größte Groteskfilm, der je gedreht wurde, da er die Tortenschlacht zur Apotheose erweiterte: Darin war nichts als die Tortenschlacht, nichts als Torten, Tausende und Abertausende von Torten, und jeder wirft sie nach rechts und links.“
Was geschieht, ist unerklärlich, absurd als Phänomen: In Brats spielen Laurel & Hardy Schach und laufen als ihre eigenen Kinder durch die proportional vergrößerten Möbel ihrer Wohnung. Zwei trottelige Alte, gesehen durch die Augen ihrer aufmüpfigen Kinder.
Freud sagte einmal, ein Kind würde die Welt zerstören, wenn es die Macht dazu hätte. Er meinte damit, ein Kind sei völlig subjektiv, völlig beherrscht von den eignen Gefühlen und absolut unfähig, jemand anderes Standpunkt zu sehen und anzuerkennen.
Die Wiederentdeckung von Kinheitserlebnissen hat etwas Rituelles an sich: Das „Anarchistische“ an ihnen ist eine Erfindung vergeistigter Intellektueller, die sich mit solchem Kinderkram wie „Dick & Doof“ niemals abgeben würden
-weswegen es dann auch ein „Laurel & Hardy-Festival“ sein muß. Dabei zeigen doch gerade ihre besten Filme, daß sie nichts weiter als billige B-picture-Helden waren: Die besten Filme waren ihre kurzen, jene, die im Vorprogramm liefen und die die Leute „nur“ gut unterhalten sollten. „Dick & Doof“ hatten in keinem Moment die Absicht, gegen die Gesellschaft zu revoltieren.
Etwas „Anarchistisches“ wohnt ihnen aber dennoch inne: Sie üben die verschiedensten Berufe aus, nicht um etwas herzustellen, sondern um beschäftigt zu sein. Sie sabotieren sich dauernd gegenseitig, und übermächtige Konkurrenz droht sie immer zu erdrücken. Der Kunde ist der Gegner, der ihre Anstrengungen und nicht die Ware bezahlen soll, die ja in aller Regel völlig untauglich ist. Wenn sie etwas herstellen oder verkaufen wollen, geht schon bei den Vorbereitungen (etwa dem Öffnen einer Tür) soviel Energie verloren, daß sie sich von der Welt geradezu bedroht fühlen müssen. Von der Welt der Maschinen zum Beispiel: Ollie will sie beherrschen, Stan ausprobieren. Beides geht immer daneben - woraus naive „Maschinenstürmer“ die Erkenntnis ziehen mögen, daß die Maschine nie des Menschen Freund werden kann - aber zum Feind taugt sie genauso wenig; wenn man sie kaputt macht, beweist das gar nichts. „Dick & Doof“ sind nur erschöpft.
III. Frauen und
(Homo-)Sex(-ualität)
Der breitschultrige Ollie kehrt - meist erfolglos - den schmierigen Kavalier heraus oder spielt den Charmeur, und Stan, zart und zierlich, versucht ihn mit pubertärem Kichern nachzuahmen. Vor der Vaterfigur Ollie brauchen sich Frauen nicht zu fürchten, vor dem (direkteren) Stan müssen sie fliehen oder ihn gleich k.o. schlagen. Wenn „Dick & Doof“ doch einmal ein Mädchen kennenlernen, endet der gemeinsame Ausflug meist in einer Katastrophe (In Two Tars verwandeln sie deswegen am Schluß eine ganze Autokolonne zu Schrott). Wenn sie das Ziel ihrer Bemühungen erreichen, dann nur um den Preis von Ehefrauen, die schrecklich herrschsüchtig sind und ihre Ehemänner wie kleine Jungs behandeln: „Boys, boys, enough of this foolishness“ (The Perfect Day). „Dick & Doof“ wollen immer zusammen ausgehen oder verreisen, um so ihren Frauen zumindest für kurze Zeit zu entkommen.
Stan und Ollie haben Interesse nur füreinander. In Their First Mistake sagt Stan zu Ollie: „She says that I think more of you than I do of her.“ Ollie antwortet: „Well, you do, don't you?“ „We won't go into that“, antwortet Stan etwas zweideutig. Eine erotische Männerkumpanei, die die Eheflucht erzeugt und nichts so sehr fürchtet wie den Verdacht der Homosexualität.
In Twice Two gibt es eine fast ideale Ehe, aber wohl auch nur, weil Stans Ehefrau von Hardy gespielt wird und Ollies Frau von Laurel (dies ist der einzige Film, in dem Hardy als Frau auftritt, Laurel hingegen noch in sechs weiteren). In Our Wife werden sie versehentlich getraut, weil der schielende Standesbeamte den Trauzeugen Stan für Ollies Braut hält. In Putting Pants on Philip soll Stans Schottenrock beim Schneider durch eine Hose ersetzt werden, aber jedesmal, wenn der Schneider mit der Hand oder dem Metermaß unter den Rock kommt, läuft Stan entsetzt weg. Schließlich übernimmt Ollie die Aufgabe des Abmessens, und wenn sie dann hinter dem Vorhang hervorkommen, sind Stans Blicke eine einzige Anklage.
Ihr Nicht-Erwachsen-Sein erlaubt es, daß sie in einer Anzahl von Filmen wie ein Ehepaar im selben Bett liegen, und (in Their First Mistake) Ollie sogar mal seinen Arm um Stan legen darf.
IV. Komik
Mit der Komik ist das so eine Sache: „Ich habe nie den Unterschied begriffen, den man zwischen Komik und Tragik macht“, schrieb Ionesco einmal, „da das Komische das unmittelbare Erkennen des Absurden ist, scheint es mir der Hoffnungslosigkeit förderlicher als das Tragische. Das Komische läßt keinen Ausweg.“
Clyde Bruckman, eine der Schlüsselfiguren der amerikanischen Filmkomödie, inszenierte einige der besten Laurel-und Hardy-Filme (Putting Pants on Philip oder das grandiose Battle of the Century). Danach brachte ihn der Suff so runter, daß er sich 1955 Buster Keatons Pistole „für ein paar Zielübungen“ lieh. Er hinterließ seiner Frau eine Nachricht, daß er nach draußen ginge, um ihren schönen Salon nicht zu ruinieren, und setzte hinzu: „Ich habe kein Geld für eine Beerdigung.“ Er ging in eine Telefonzelle am Santa Monica Boulevard und pustete sich das Hirn aus dem Schädel. Mit der Komik ist das so eine Sache ...
Torsten Alisch
Bis Ende August im Filmkunst 66.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen