: Undurchsichtige Liebe
■ „Hafen im Nebel“, ZDF, 22.55 Uhr
Sie lieben sich zwei Tage und eine Nacht lang, und plötzlich wissen sie, was Glück sein kann. Wenn es aber wieder nur so eine Ahnung des Gefühls ist, wie es sein könnte, sich wirklich zu lieben? Etwas Vertrauen, etwas zum Festhalten. Sie schauen sich stumm an. In ihren Augen steht die Angst, falsche Fragen zu stellen, Zweifel zu haben.
Immer lauter reden sie über die Pläne einer gemeinsamen Zukunft, beschwören den Glauben an etwa, das sie für immer zusammenhalten wird, ohne zu wissen, was das ist. Wenn sie sich gegenseitig Mut machen, klingt es um so hoffnungsloser.
In ihrer Verzweiflung sind sie einsam und wagen es nicht, etwas voneinander zu erwarten.
Jean, von der Armee desertiert, wird der Gehetzte bleiben. Eines Tages werden sie ihn kriegen, vielleicht heute vielleicht nie. Egal, er wird immer weiter straucheln und keinen Platz finden, wo er bleiben kann.
Nelly wird ihr Leben immer nur als eine niemals abreißende Kette von Schlägen, Demütigungen und Erniedrigungen erfahren. Menschliche Beziehungen bedeuten für sie Abhängigkeiten: Ihr Vormund Michel gibt sich als ihr Freund aus, um sie unauffälliger mißbrauchen zu können.
In einer Nebelnacht haben sie sich unten am Hafen in einer Spelunke kennengelernt. Ein böses Omen?
Es ist ewiger Nebel über dem Hafen von Le Havre. Doch vielleicht ist es eher der Nebel, der in ihren Hirnen und Herzen schwimmt, an dem sie langsam zugrundegehen.
Jean kann ihr nichts erklären, er brummelt in sich hinein, spruckt ihr Worte ins Gesicht, die zu grob klingen für die Mühe, mit der er sie sich zusammengesucht hat. Das unmerkliche Zucken in seinem sonst gleichmütigen Gesichtsausdruck signalisiert Alarm. Es ist nur ein Impuls, ein Totschlagreflex.
Dem Schweinehund Michel weint keiner eine Träne nach, aber ein noch bitterer Anfang vom Ende ist unmöglich. Für Jean bleibt nur das totale Scheitern: Tod.
Mit „Hafen im Nebel“ hat Marcel Carne 1938 den poetischen Realismus in seine düsterste Tiefen getrieben; einen noch traurigeren, depressiveren und hoffnungsloseren Film hätte keiner mehr verkraftet. Seine atmosphärischen Malereien vom Leben als Hölle, der nicht zu entkommen ist, verdichten sich zu einer Zwangsvorstellung vom Erstickungstod im Nebel. Einmal zu tief einatmen ist Selbstmord - oder Mord.
DOA
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