: Der Präventiv-Paragraph111
■ Die Ausdehnung eines Antiterror-Paragraphen zur Durchforstung der Linken
Berlin (taz) - Als im Februar 1978, zum Höhepunkt der Terroristenhatz, der neu in die Strafprozeßordnung eingeführte Paragraph 111 der Polizei Grünes Licht zur Einrichtung von Kontrollstellen und Massenüberprüfungen gab, atmete so manch Uniformierter auf. Ein Paragraph, der den Beamten „die Angst vor einem Einschreiten am Rande der Legalität nimmt“, jubilierte Polizei-Oberkommissar Mayer in einer Polizeifachzeitschrift. Was der Kommissar in weiser Voraussicht für die Praxis prophezeite, war jedoch vom Gesetzgeber und den verantwortlichen Politikern anders begründet worden. Eine Kontrollstelle auf Grundlage des Paragraphen111 dürfte nur dann eingerichtet werden, wenn „hinreichende kriminalistische Anhaltspunkte vorliegen, daß gerade am konkreten Ort und zur konkreten Zeit eine Kontrollstelle Fahndungserfolge verspricht“, versicherte der damalige Justizminister Hans-Jochen Vogel, und der Strafrechtskommentator Löwe-Rosenberg urteilte, daß Kontrollstellen nur bei „besonders schweren Straftaten und nur bei qualifizierter Erfolgsaussicht“ rechtmäßig sind. Nur von „einer“ Kontrollstelle und nicht von unbeschränkt vielen, wie jetzt im Vorfeld des IWF-Kongresses vom Bundesgerichtshof pauschal genehmigt, sprach auch der Rechtsausschuß des Bundestages, als er den umstrittenen Fahndungsparagraphen vorbereitete. Zum Einsatz kommen sollte der Paragraph nur, wenn eine schon begangene Tat dadurch aufgeklärt werden könnte. Wegen „der Schwere des Eingriffes“ in die Bürgerrechte, so hatte der Bundestag 1978 ebenfalls beschlossen, sollte die Bundesregierung nach einem Jahr einen Bericht über die Erfahrungen mit dem Paragraphen 111 vorlegen.
Als die Bundesregierung im Dezember 79 dann Bericht erstattete, waren aus der „einen“ Kontrollstelle des Rechtsausschusses längst 181 geworden. Die meisten hatten Polizei und Staatsanwaltschaft ohne richterliche Genehmigung wegen „Gefahr im Verzuge“ einfach selbst errichtet. Sechzehn wurden - genau wie jetzt - auf Antrag des Generalbundesanwaltes gleich für mehrere Wochen genehmigt. Bilanz: kein einziger Täter wurde gefaßt, kein einziges Beweismittel sicher gestellt, aber eine Unmenge persönlicher Daten wurden erfaßt.
Diente der Paragraph 111 bei seiner Premiere 1978 noch einem konkreten Ziel, nämlich der Ergreifung eines flüchtigen „Terroristen“, ist der Fahndungsparagrpah heute längst eine Präventivmaßnahme zur Durchforstung der linken Szene geworden: unbemerkt von der Öffentlichkeit ließ sich Generalbundesanwalt Rebmann im Mai 87 vom BGH bundesweit Kontrollstellen genehmigen. Begründung: „Mitglieder einer terroristischen Vereinigung“ bereiteten „planmäßige Störungen“ der Volkszählung vor. Als wenig später Ronald Reagan in Berlin einrauschte, wurden die Grenzübergänge zur Mauerstadt kurzerhand in Kontrollstellen umbenannt, was dem Bundesgrenzschutz freie Hand gab - so ein Beamter gegenüber dem 'Spiegel‘ -, bei „allen Ökos“ nach „irgendwelchen Sachen für die Demo“ zu suchen.
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