piwik no script img

Kälberbauern mimen Unschuldslämmer

Neuer Ausflugsspaß im Münsterland: Bullen gucken gehen, die die Hormonkälber bewachen / Demonstrationsgestählte Polizisten sitzen frustriert vorm Stall / Kleinbauern sind gelackmeiert: Kalbfleischmarkt für zwei Jahre im Eimer  ■  Aus Bochum Anne Weber

Sonntags im Münsterland wimmelt es von propper gekleideten Familien auf Fahrrädern. Fast immer das gleiche Bild: vorne der Papa, dann die zwei Kleinen und die Mama als Letzte. Die Eltern, vielfach Wochendtouristen aus dem Ruhrgebiet, über eine der unzähligen Autobahnen angerückt, packen vergnügt und voller Vorfreude auf die „schöne Natur“ die Räder vom Dachgepäckträger. Die Kinder, von langen Autofahrten gestreßst, sind meist quengelig, schreien nach Eis und Limo. „Heute ist unsere Radtour aber ganz toll, keine Probleme mit den Kindern“, schwärmt ein Familienvater, Volksschullehrer aus Essen.

Tatsächlich, der Ausflug ist so spannend wie eine Mischung aus Schnitzeljagd und Ostereiersuchen: Wer entlang der Landstraßen am schnellsten Bauernhöfe mit einem Polizeiwagen davor entdeckt, hat gewonnen. Am vergangenen Sonntag begannen wohl die meisten Radtouren und auch Spazierfahrten per Pkw im Münsterland in Südlohn-Oeding. Der Hormonskandal ist also offensichtlich nicht nur eine große Schweinerei für die VerbraucherInnen, wie allerorts verlautet, er bringt ihnen auch Spaß.

Wenig begeistert von dem Einsatz in frischer Landluft sind rund 200 Polizeibeamte aus ganz Nordrhein-Westfalen. Fast ganztägig sitzen sie sich in ihren Streifenwagen die Hintern platt. „Wir fühlen uns echt verarscht, daß wir hier Kälber bewachen müssen“, meint ein junger Beamter ungehalten. Für viele Polizisten fiel das Wochenende ins Wasser, nachdem am Freitag bekannt wurde, das außer des Kälbermästers Felix Hying jetzt auch dessen Kollege Bernhard Wigger wegen Hormonverseuchung von Kälbern in Verdacht steht. „An und für sich sind wir von der Bereitschaftspolizei plötzliche, unverhoffte Einsätze ja gewohnt, aber hier ist alles extrem schlecht organisiert“, klagt ein Polizist. Demonstrationserprobt, in Masseneinsätzen wie bei der Europameisterschaft gestählt, sitzen sie jetzt einzeln oder zu zweit mitten im Grünen, befremdet und offensichtlich genervt.

Der Schichtdienst klappt noch nicht so, wie er soll. Zwei Beamte mokieren sich darüber, daß sie am Freitag 19 Stunden, unterbrochen nur von einer kleinen Pause, vor einem Kälberstall hocken mußten. Andere berichten: „Zehn oder zwölf Stunden Dienst sind hier keine Ausnahme.“ „Am schlimmsten bei dem Job ist der Fraß. Morgens gibt's einen Beutel mit zwei lila Pausen, 'nem Apfel,'ner Dose Sprite und Fanta. Mittags in einer Realschule servieren die uns zerkochte Kartoffeln, Erbsen, Möhren und ein Stück Fleisch, und das vermutlich vom Kalb“, flachst ein Polizist. Zuständig für die Verpflegung ist die Bereitschaftspolizei Bochum. Sie hat notdürftig eine Zentralstelle für die Kälberüberwachung in einem Schulgebäude eingerichtet. Von den Klagen über das Essen will da niemand etwas wissen.

Drohbriefe angekommen

Die diensthabenden Polizisten sind froh über jede Abwechslung. So ist es auch schon zu manchem Schwätzchen mit den Lohnmastbauern gekommen. Einige Landwirte lassen sich nicht lumpen, laden ihre Bewacher zu Kaffee und Kuchen ein, stellen ihre Toiletten zur Verfügung. Seit Freitag sind viele froh, Polizisten vorm Haus zu haben. Im Dorf Südlohn -Oeding wurde von Unbekannten ein Drohbrief gegen sämtliche Lohnmastbauern in Umlauf gebracht. Es heißt, man wolle sich mit Brandsätzen an denen rächen, die Geschäfte „auf Kosten der Volksgesundheit machen“. Ton und Inhalt des Briefes lassen als Absender militante TierschützerInnen vermuten: Brände sollen in den Wohnhäusern der Bauern und nicht den Ställen gelegt werden, „denn“, so der Brief, „die armen Tiere können nichts dafür“.

Bullen Mastexperten

Einige Polizisten haben ihre Dienstzeit genützt, um sich in Sachen Kälbermast kundig zu machen. Keiner von ihnen glaubt, daß die Bauern von der Hormonbehandlung nichts gewußt haben, da „jeder erfahrene Landwirt doch mißtrauisch werden müßte, wenn die Viecher zu schnell wachsen“. Die Lohnmastbauern sind über die Presse sehr verärgert, weil „die uns schon verurteilen, bevor die amtlichen Untersuchungen überhaupt abgeschlossen sind“. Ein Landwirt versuchte sogar die Polizei als Schutz gegen die Presse zu benutzen. Er verlangte von einem jungen Beamten, „niemand von der Zeitung auf mein Grundstück zu lassen“. Der Beamte kam der Aufforderung widerwillig nach und meinte: „Wenn die Bauern sich einbilden, daß wir sie schützen, dann sind die schief gewickelt. Unsere Weisung von oben lautet nur, daß wir auf die Kälber aufpassen sollen.“

Schnelle Spritze

Die wenigen, die weder JournalistInnen nicht von ihren Grundstücken vertreiben, noch sich in ihren Häusern verstecken, beteuern ihre Unschuld und führen dafür seltsame Beweise an: „Eine Einstichstelle heißt noch gar nichts, die Tiere müssen oft gespritzt werden, gegen Durchfall, Husten und Grippe.“ Ein Fachmann, Dr. Bernhard Mügge von dem Referat Rinderproduktion der Landwirtschaftskammer Rheinland in Bonn, zu den Hintergründen der Kalbfleischproduktion: „Die Mäster sind mit Medikamenten schnell bei der Hand, da wird gegen Infektionen viel gespritzt. Die Massentierhaltung auf engstem Raum kann auch gar nicht anders funktionieren.“

Mügge erklärt, wie das Kalb zum Geschnetzelten wird: Die Kalbfleischproduktion, ein Kleinbereich der gesamten Fleischzucht, ist in wenigen Betrieben mit einer großen Anzahl von Tieren konzentriert. Mügge: „Das sind fast immer mehrere tausend Kälber.“ Satter Gewinn

Die Mast liegt in den Händen einiger weniger Großunternehmer. Sie kaufen das Vieh von fahrenden Händlern, die es zuvor bei kleinen Züchtern eingekauft haben. Ein Kalb kostet zwischen 350 und 700 Mark. Die Unternehmer geben die Tiere zusammen mit dem Futter gegen ein Festgehalt an die kleinen Lohnmastbauern. Die ziehen die Kälber groß auf ein Gewicht von 200 bis 250 Kilo. Dann werden die Tiere von den Großunternehmern in der Regel selten an öffentliche, meist an private Schlachthöfe geliefert, mit denen sie in Vertrag stehen. Ein Kilo Kalbfleisch bringt dem Großkalbmäster durchschnittlich sieben Mark, also bis zu 1.750 Mark pro Kalb.

„Durch den Hormonskandal“, so Mügge, „steht die ganze Zunft im schlechten Licht. Gelackmeiert sind vor allem kleine Bauern, die wenig Kälber, so etwa 200 halten und selber mästen. Voraussichtlich ist der gesamte Kalbfleischmarkt für zwei Jahre dicht.“ Tatsächlich will jetzt niemand mehr Kalbfleisch kaufen: Die Antwort eines Metzgers auf eine Rundfrage der taz im Ruhrgebiet: „Kalbfleisch, was ist das? Das führen wir nicht.“ Ein anderer meinte weniger sarkastisch: „Das ist schon ein harter Schlag. Kalb geht zu 99,9 Prozent nicht mehr über den Ladentisch.“

Gourmets unbeeindruckt

Einzig eine VerbraucherInnengruppe konsumiert unverdrossen Kalb: Wenn man den Küchenchefs und Geschäftsführern von Nobelrestaurants glauben schenken darf, sind das ihre KundInnen. Ein Koch der haute cuisine: „Unsere Gäste haben ein ungebrochenes Vertrauen. Zu Recht, denn die gehobene Küche bietet nur Qualität. Unser Kalbfleisch kommt aus Frankreich.“ Dazu einer seiner Kollegen: „Bislang gab es mit dem Kalbfleisch noch keine Probleme. Wir wissen nicht genau, woher das Fleisch kommt, aber bei der Zubereitung würden wir Mängel sofort bemerken. Hormonverseuchtes Fleisch fällt beim Braten extrem zusammen.“

Konsens der Gourmet-Bewirter: „Genau genommen darf man heute gar nichts mehr zu sich nehmen. Auch Gemüse nicht, das ist doch auch voller Schadstoffe.“ Ein Küchenchef mit stark französischem Akzent schlägt einen Ausweg aus der Ernährungsmisere vor: „Ernährung müßte Schulfach sein. Dann gäb es weder Massentierhaltung noch Giftspritzereien.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen