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Vom harten Sattel ins weiche Bett

■ Vom Bremer ADFC herausgegeben: „Reiseradlers Übernachtungsverzeichnis“ macht sich bezahlt / Und die Säge singt „An der schönen blauen Donau“

Mit einem gekonnten Griff klemmt er sie zwischen die Oberschenkel. Zärtlich und zugleich äußerst vorsichtig, denn ihre spitzen Zähne könnten an empfindlichster Stelle ihre Spuren hinterlassen. Dann streicht er ihr sanft mit dem Geigenbogen über den Rücken. Und wirklich - die blitzende, etwa 70 cm lange Säge beginnt zu singen, natürlich einen Walzer, denn wir sind in Wien. Noch vor ein paar Tagen spielte Peter, ein Wiener Kabarettist, in dessen WG wir zu Gast sind, mit seiner Singenden Säge bei der WAA-Anhörung in Neundorf vorm Wald für die WAA-GegnerInnen auf. Nun gibt's ein gesägtes „An der schönen blauen Donau“ vom Walzerkönig Johann Strauß für uns zwei Donau-RadlerInnen auf Tour.

Von Passau kommend, dem schwärzesten, aber nicht gerade häßlichsten deutschen Fleckchen, sind wir, jenen doch nicht mehr so schönen blauen Fluß entlangradelnd, am Abend zuvor in Wien angekommen. Es goß in Strömen. Zelten bei dem Wetter? In Wien? 700 Schillinge (ca. 100 DM) oder mehr für eine billige Absteige bezahlen? Nicht nötig! Denn ich hatte ein kleines weißes Heftchen in der Hosentasche, mit dem sich problemlos nicht nur in vielen Städten der BRD, sondern sogar in Wien eine kostenlose einfache Bleibe organisieren läßt. Natürlich nicht für jede RadlerIn, denn die Sache basiert auf dem Gegenseitigkeitsprinzip. Nur wer selbst in „Reiseradlers Übernachtungsverzeichnis“, kurz RÜV eingetragen ist, darf sich für eine Nacht nach vorheriger Anmeldung bei einer der Adressen einquartieren.

Die Idee zu diesem praktischen Heftchen brachten zwei Weltumradler aus Australien mit. Sie waren im Land der Känguruhs mit einem ähnlichen Verzeichnis umhergereist und hatten so nicht nur kostenlose Unterkunft, sondern auch beste Tips für ihre Routenplanung erhalten. Wolfgang Reiche vom Bremer ADFC hat die Anregung aufgegriffen und das seit vier Monaten erhältliche Verzeichnis zusammengestellt. Mittlerweile sind zu den ca. 300 radlerInnenfreundlichen Adressen bereits 200 neue hinzugekommen. „Sogar ein älteres Ehepaar hat

sich eintragen lassen“, erzählt Wolfgang Reiche, „obwohl sie selbst nicht mehr durch die Lande radeln können. Sie wären froh gewesen, wenn's das schon vor 20 Jahren gegeben hätte.“ Aber sie unterstützen die Idee trotzdem, denn „das bringt frischen Wind ins Haus“.

Beim TourenradlerInnen-Treffen am 24.9. auf der „Internationalen Fahrrad- und Motorradausstellung in Köln -Deutz (Halle 12/13) sollen erstmals die Erfahrungen mit dem RÜV zusammengetragen und ausgewertet werden.

Um das RÜV-Verzeichnis zu erhalten, muß man seinen verbindlichen Beitritt erklären und die nötigen Angaben (Name, Adresse mit Ortsteil bzw. Distanz zur nächsten Stadt, max. Plätze in Haus oder Garten, Anmerkungen) nebst 5 DM und adressiertem Freiumschlag an die Redaktion „RÜV '88“ (ADFC e.V., Postfach 107744, 28 Bremen 1) senden. Wenig später liegt das RÜV samt aktuellem Nachtrag und der eigenen Adresse im Briefkasten. Dann fehlen nur noch ein paar Tage Urlaub, Drahtesel gesattelt - und ab geht die Post.

RaS

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