Siemens rettet Reaktorbau in Argentinien

Das argentinische Atomkraftwerk Atucha II soll mit deutscher Finanzspritze weitergebaut werden / Rettungsaktion des Reaktorbauers Siemens/KWU, eines Bankenkonsortiums und der Bundesregierung / Austritt von „schwerem Wasser“ nicht sicherheitskritisch  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Mit einer Finanzspritze von zunächst mehreren hundert Millionen Mark will der Reaktorhersteller Siemens/KWU im Verein mit der Bundesregierung und einem bundesdeutschen Bankenkonsortium das argentinische Atompogramm vor dem Zusammenbruch bewahren. Ein unter Federführung von Siemens/KWU geschnürtes Finanzierungspaket soll verhindern, daß die Baustelle des von Siemens/KWU in Argentinien errichteten Atomkraftwerks Atucha II endgültig geschlossen wird. Mitten hinein in die Verhandlungen platzte am Mittwoch die Nachricht über einen schweren Störfall im ebenfalls von Siemens/KWU errichteten und seit 1974 betriebenen Schwesterkraftwerk AtuchaI.

Aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise in dem südamerikanischen Land kann die staatliche argentinische Atomenergiebehörde CNEA die Unterlieferanten, die vor Ort die Montage und die Bauarbeiten an AtuchaII durchführen, seit dem vergangenen Jahr nicht mehr auszahlen. Die CNA ist Bauherrin der erst zu 40 Prozent fertiggestellten Anlage.

Das Volumen der geplanten Finanzierungshilfe beläuft sich nach Informationen aus dem Bundeswirtschaftsministerium auf rund 400 Millionen Mark. Die Summe setzt sich zusammen aus einer Eigenbeteiligung der CNEA in unbekannter Höhe, einem Kredit der Siemens AG und einem weiteren Kredit, den der Reaktorhersteller bei einem Bankenkonsortium unter Führung der Deutschen Bank locker machen will. Das Bonner Wirtschaftsministerium hat sich bereiterklärt, für den Bankenkredit mit zusätzlichen Hermes-Bürgschaften geradezustehen. Voraussetzung sei allerdings, daß Argentinien trotz seiner prekären Finanzlage die 1986 ausgehandelten Umschuldungs-Vereinbarungen mit den Gläubigerregierungen einhält, betonte Bangemann-Sprecher Volker Franzen gegenüber der taz.

Die Rettungsaktion für AtuchaII kam ins Rollen, nachdem eine hochrangige Delegation der argentinischen Energiebehörde im Juni bei den deutschen Partnern Alarm geschlagen hatte. Wirtschaftsminister Bangemann sollte anläßlich seines Besuchs in Buenos Aires Anfang August das Finanzierungsvorhaben perfekt machen. Ob dies gelungen ist, will Franzen nicht sagen. Überhaupt sei es nicht Politik der Bundesregierung, den Handel an die große Glocke zu hängen. KWU-Sprecher Wolfgang Breyer hält es für „unschicklich“, vor einer endgültigen Einigung Einzelheiten über den „konstruktiven Beitrag“ seines Unternehmens „zur Überwindung der Finanzierungsschwierigkeiten Argentiniens“ mitzuteilen.

Daß das Siemens-Engagement in diesem Zusammenhang ungewöhnlich ist, bestreitet Breyer indes nicht. Schließlich gehe es in diesem Fall nicht um die Absicherung der eigenen Exportleistungen - die seien ohnehin durch die bei Auslandsgeschäften mit Dritte-Welt-Ländern üblichen Hermesbürgschaften der Bundesregierung abgesichert - sondern um die „aus Argentinien selbst zu erbringenden Lieferungen und Leistungen“. Die Bereitschaft von Siemens/KWU, das Schiff auf „unorthodoxe Weise“ wieder flott zu machen, beruhe auf dem „beiderseitigen Interesse, das Programm in Argentinien fortzusetzen“.

Die Frage, ob ein Atomkraftwerk, das bereits in der Bauphase derart ins Trudeln gerät, später sicher betrieben werden kann, belastet die Erlanger Reaktorbauer nicht. Auch der hierzulande erst jetzt bekanntgewordene Schwerwasserverlust in Atucha I kann daran nichts ändern. Sein Unternehmen, erklärt Breyer, beteilige sich an den Wartungeb beider Anlagen; auf „deutsche Techniker als Korsettstangen“ sei Verlaß. Außerdem habe man „eine große Zahl argentinischer Techniker hier trainiert“.

Die 50 Tonnen Schweren Wassers, das ist etwa ein Siebtel des gesamten in Atucha zur Neutronen-Moderation eingesetzten Schwerwasser-Inventars, sind nach Angaben Breyers nach einer Revision ausgetreten und in den Reaktorraum gelaufen. Das Wasser sei nicht in der Bundesrepublik, sondern in einer Eigenanlage in Atucha selbst wiederaufgearbeitet und dem Reaktor anschließend wieder zugeführt worden, sagte Breyer. Da der Reaktor zum Zeitpunkt des Störfalls nicht in Betrieb gewesen sei, könne auch nicht von einem „sicherheitskritischen“ Vorgang gesprochen werden. Auch die Schwer-Wasser-Leckage in dem von einer kanadischen Firma errichteten ersten argentinischen Atomkraftwerk Embalse die taz berichtete - sei nicht geeignet, Zweifel an einem sicheren Betrieb argentinischer Reaktoren zu nähren. „Mit gewissen Schwerwasser-Verlusten“ müsse man immer rechnen, meint der KWU-Sprecher. „Eine solche Anlage ist nie hundertprozentig dicht.“