: Geiselnahme live und ein tödliches Ende
■ Die Polizei beendete den Krimi nach 54 Stunden mit einem Schußwechsel / Von Holger Bruns-Kösters
Von den beiden jungen Frauen, die die beiden Bankräuber Hans -Jürgen Rösner (31) und Dieter Degowski (32) bis zuletzt als Geiseln gedient hatten, ist eine tot, die andere schwebte bei Redaktionsschluß in Lebensgefahr. Die beiden Geiselnehmer sind schwer verletzt. Das ist das Ergebnis, nachdem die Polizei gestern um 14 Uhr das Fluchtauto auf der Autobahn bei Bad Honnef gestoppt und die 54-stündige Folge von Geiselnahmen gewaltsam beendet hatte. Der Journalist des 'Kölner Express‘, der Geiseln und Geiselnehmer auf der letzten Station begleitet hatte, durfte kurz zuvor aussteigen.
Mittwoch 23 Uhr 09, Raststätte Grundbergsee, 40 Kilometer nördlich von Bremen an der Autobahn: Ein Schuß fällt. Wenig später zieht ein Journalist den Körper eines 15jährigen Jungen aus dem Bus der Bremer Verkehrsbetriebe. 39 Stunden nach Beginn hat das Geiseldrama ein erstes Todesopfer gefordert. Am Dientag morgen um 7 Uhr 40 hatte die Geiselnahme begonnen. Da hatten der 31jährige Hans-Jürgen Rösner und sein Komplize Dieter Degowski in Gladbeck zwei Bankangestellte als Geiseln genommen. Ein Arzt beobachtete die Szene und alarmierte die Polizei. Abends um 21 Uhr 40 hatten die Geiselnehmer ihre Forderung durchgesetzt und verließen die Bank mit den beiden Geiseln, 120.000 Mark aus dem Tresor der Bank und 300.000 Mark, die sie von der Polizei erpreßt hatten. Weitere Absprache: Ein Fluchtauto und freier Abzug, keine Verfolgung durch die Polizei.
Doch dann stellt die Polizei die Strafverfolgungsinteressen über die Absprache. Bei der folgenden Irrfahrt durch West und Norddeutschland ist sie den Geiselnehmern, die mehrmals das Auto wechseln, immer auf den Fersen. Sie weiß auch, daß Rösners Freundin in der Nacht zum Mittwoch in das Fluchtauto zugestiegen ist. In Bremen sind die Geiselnehmer das Katz und Mausspiel leid. Als sie nach beinahe dreistündiger Stadtrundfahrt offensichtlich die Orientierung verloren haben, melden sie sich telefonisch bei der Polizei. Die hält die beiden hin und schickt Scharfschützen, die sich hinter Wohnungsfenstern postieren. Rösner und Degowski kapern einen Bus der Linie 53, in dem 32 Fahrgäste sitzen. In Windeseile hat sich die Situation bei den Journalisten herumgesprochen. Sie erscheinen am Tatort in Huckelriede. Rösner gibt dort bereitwillig Interviews, läßt Fotographen in den Bus, stellt sich in Pose, hält sich schon einmal die Pistole in den Mund, um dann grinsend festzustellen: „Den Gefallen tu ich euch nicht.“
Polizei: Kein Interesse
an Verhandlungen
Degowski macht dagegen einen angeschlagenen Eindruck. Er ist offensichtlich angetrunken. Rösner hat sich inzwischen weitere Forderungen ausgedacht: Er will noch einmal 400.000 Mark und einen schnellen Wagen. Peter Meyer, ein Fotojournalist, stellt seinen Wagen zur Verfügung und erklärt sich bereit, zwischen der Polizei und Geiselnehmern zu vermitteln. Die Geiselnehmer haben den Austausch der Gladbecker Geiseln gegen einen Polizisten und einen Journalisten gefordert. Dies hat die Polizei abgelehnt. Der Eindruck des vermittelnden Fotografen, wie er später der taz erklärt: die Polizei hat kein Interesse an Verhandlungen. Erst bekam der Vermittler von der Polizei ein Funkgerät, das nicht funktionierte, danach eine Nummer, die er per Autotelefon anwählte, wo sich niemand meldete. Meyer: „Es war reines Glück, daß die Geiselnehmer da noch niemanden erschossen haben.“
Eine Stunde dauert das Hin- und Her. Rösner hat den Eindruck, daß seine Entschlossenheit immer noch nicht richtig begriffen wird. Er greift sich ein kleines Mädchen, drückt ihm die Pistole an den Kopf und zerrt es aus dem Bus: „Bei irgendwelchen Tricks fliegt die tot auf die Straße.“ Als sich die Verhandlungen weiter verzögern, gibt Rösner gegen 22 Uhr dem Busfahrer den Befehl, loszufahren auf die Autobahn. Um kurz nach halb elf hält der Bus an der Raststätte Grundbergsee. Im Gefolge etwa 50 Journalisten und 60 Zivilfahrzeuge der Polizei, die vor der Raststätte auf dem Seitenstreifen parken. Rösner ordert Bier, Zigaretten und etwas zu essen. Da greifen sich einige Polizisten die Freundin Rösners, die - von der Polizei zunächst unbemerkt auf die Toilette gegangen ist und zerren sie in einen Wagen. Die Verhandlungen haben ein neues Thema: Rösner verlangt die Freilassung.
Journalisten
beherrschen die Szene
Im Flur vor den Toiletten stehen etwa 10 Polizisten, Pistolen in der Hand. „Der hält einer Frau die Pistole an den Hals, jetzt können wir den doch abknallen“, sagt einer. „Bist du verrückt geworden“, kommt die Antwort. Die Polizisten sind ganz offensichtlich ratlos. Die Journalisten beherrschen die Szene: Immer wieder Blitzlicht. Andere überlegen derweil, welchem Medium sie die Geschichte am besten verkaufen können.
Rösner bedroht den Busfahrer mit der Pistole, redet mit ihm. Der steigt aus, übermittelt der Polizei Rösners Forderungen. Rösner will sofort seine Freundin wiederhaben, läßt dafür die zwei Geiseln aus der Gladbecker Bank frei. Hinter dem Bus hat sich derweil ein Polizist mit einer Pistole versteckt. Plötzlich geht es schnell. Laute Schreie: „Ihr Schweine, ihr wollt uns doch nur hinhalten.“ Degowski greift sich einen Jungen, hebt ihn von seinem Sitzplatz, drückt ihm die Pistole an den Kopf und schießt. Ein Journalist, der im Bus war, zieht den Körper des 15jährigen Italieners Emanuele de Giorgi aus dem Bus. Die andern Geiseln sind im hinteren Teil des Busses zusammengerdrängt. Das Kamarateam von RTL leuchtet die Szene taghell aus. „Ein Rettungswagen, wir brauchen einen Rettungswagen“, ruft jemand. Der Bus startet, die meisten Journalisten hinterher. Ein paar Kameraleute stehen derweil vor der Scheibe, hinter der der Sterbende von hilflosen Polizisten umringt wird und knipsen, bis Journalisten ihnen Schläge androhen. Ein Rettungswagen kommt nicht.
An der nächsten Abfahrt dreht der Bus und fährt dann, an Bremen vorbei, Richtung Osnabrück. Zu der Zeit kollidiert in Bremen ein Polizeifahrzeug, das zur Verstärkung geordert wurde, mit einem Schwerlaster. Ein Polizist stirbt, ein weiterer wird schwer verletzt. Auf der Autobahn kommt es inzwischen zu chaotischen Szenen, als die Polizei versucht, Fahrzeuge von Journalisten zu blockieren.
In Holland:
Zwei Geiseln flüchten
Bei Bad Bentheim überquerte der Bus daraufhin die deutsch -holländische Grenze. Die Grenze wurde auf mehr als hundert Kilometer abgesperrt, um die Journalisten daran zu hindern, dem Bus zu folgen. Am Morgen erhielten die Kidnapper einen von der niederländischen Polizei gestellten Wagen. Als Rösner den Wagen inspizieren wollte, flüchteten zwei Geiseln, die er mitgenommen hatte. Daraufhin fielen wieder Schüsse. Der Busfahrer, ein weiterer Passagier und Rösners Freundin wurden verletzt. Zusammen mit zwei jungen Frauen setzten sie ihre Flucht fort.
Zunächst ging die Polizei davon aus, daß die Geiselnehmer zu einem Krankenhaus fahren würden, um die Wunde der Freundin versorgen zu lassen. Nach einer längeren Irrfahrt stoppte der Wagen dann aber vor dem Gebäude des Westdeutschen Rundfunks in Köln. Aus dem Auto heraus gab es wieder Interviews.
Degowski erklärte dabei: „Mit der Polizei verhandeln auf keinen Fall, weil ich weiß, das bringt nichts.“ Degowski sagte aber auch: „Wenn ich merke, daß ich das Gefühl habe, daß sie mich nicht am Arsch kriegen, sind die Geiseln frei, das verspreche ich.“ Sein nochmaliger Rat an die Polizei, bevor das Fahrzeug sich in Richtung Frankfurt in Bewegung setzte: Die Polizei soll nicht dauernd dazwischen funken.
Die Gangster waren am dritten Tag ihrer Irrfahrt durch die Bundesrepublik und das deutsch-holländische Grenzgebiet Donnerstag früh aus den Niederlanden nach Nordrhein -Westfalen zurückgekehrt, um zunächst medizinische Hilfe für ihre kurz zuvor in Holland aus Versehen angeschossene Freundin zu suchen. Ein Wuppertaler Apotheker kümmerte sich am Morgen um die 34jährige. Mit in dem Auto saßen zwei Geiseln, die sich zuvor in dem in Bremen gekaperten Omnibus befanden. Sämtliche anderen Geiseln in dem Omnibus waren zuvor in Holland freigekommen.
Bei der Abfahrt aus Köln saß mit im Auto der Gangster der stellvertretende Chefredakteur des Kölner 'Express‘, Udo Röbel. Nach Angaben der Chefredaktion wollten die Geiselgangster die Stadt unbedingt verlassen und drohten mit neuem Blutvergießen. Einer von ihnen habe Röbel, der vorher zu einer Art Vertrauensperson geworden sei, aufgefordert: „Du kommst mit.“ Röbel sei also nicht als Berichterstatter, sondern „unter psychologischem Zwang“ zugestiegen, erklärte der Chefredakteur der Zeitung, Michael H. Spreng.
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