Selbstherrlich

■ In Bayern wird der §218 kalt abgeschafft

Eine bayerische Krankenkasse beschließt ganz ungeniert: Abtreibungen nach der sozialen Indikation finanzieren wir nicht mehr. Die zuständige Aufsichtsbehörde, das bayerische Sozialministerium, weiß davon. Es weiß auch, daß der Beschluß der Kasse rechtswidrig ist. Es kennt selbstverständlich die vor kurzem gefällte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Danach wurde die Abtreibung auf Krankenschein für legal und mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt.

Aber das Sozialministerium drückt die Augen zu. Als der Fall bekannt wird, heißt es: Erst müsse eine Frau gegen die Kasse klagen. Die Kasse jedoch ist die unterfränkische Landwirtschaftliche Krankenkasse. Sie hat vorwiegend eine bäuerliche Klientel. Welche Bäuerin aus der katholischen Provinz wird öffentlich sagen : Jawohl, ich habe abgetrieben, und meine Kasse hat's mir nicht gezahlt? Keine wird es tun, und auch das weiß das Ministerium. Im bayerischen Memmingen wurden in den letzten Wochen Hunderte von Frauen mit Ermittlungsverfahren wegen „illegaler“ Abtreibungen verfolgt; 147 wurden verurteilt. Nur eine einzige hatte den Mut, Berufung einzulegen.

Der bayerischen Landesregierung geht es um die „kalte“ Abschaffung der sozialen Indikation. Sie schöpft den Freiraum aus, den ihr die Landesgrenzen lassen. Das läuft über Richtlinien und Gerichte ebenso wie über das gesellschaftliche Klima in Bayern. Nur so ist zu erklären, daß die fränkische Kasse unbekümmert ihren Beschluß faßte. Weil sie auf offenes Lob der Kirchen und heimliches Schulterklopfen der Regierung rechnen kann, wenn sie nur dem „Lebensschutz“ das Wort redet. Wenn im allseits gebilligten „Kampf gegen Abtreibung“ über die Grenzen des Gesetzes hinaus geschossen wird, was soll's? Die Landesregierung ist schließllich an selbstherrliches Regieren gewöhnt.

Helga Lukoschat