: Wochenend-Idylle sofort abräumen
■ Niedersächsischer Petitionsausschuß entschied: 400 Gartenlauben auf der Luneplate bei Bremerhaven werden endgültig abgerissen / Sozialschwache besonders betroffen / Industriegebiet Luneplate in nebulöser Ferne / Grüne: Schildbürgerstreich
400 meist Bremerhavener Familien sollen seit dem 30.6. ihr Wochenend-Häuschen abreißen. Am Freitag nachmittag zerstob die letzte Hoffnung, einen Abriß zu verhindern: Der niedersächsische Bauausschuß lehnte eine Petition der Häuschenbesitzer ab.
Der Grund für den Abriß existiert noch gar nicht - das Industriegebiet Luneplate. Seit mehreren Jahren setzen sich die Laubenpieper als Interessengemeinschaft Ueterlande gegen den Abriß ihrer Häuschen und Gärten zur Wehr. „Das fing an so 1965. Damals glaubten wir ja, daß die Gemeinde die Fläche als Wochenendgebiet ausweisen würde. Da haben wir also gebaut und gepflanzt“, so erinnert sich Rentner Harry Pfeyffer, der Sprecher der Interessengemeinschaft 'Auf dem Grill, Ueterlande‘. Mit Unterstützung der Gemeinde, aber ohne gültigen Bauplan enstanden dort an einem Altarm der Weser etwa 550 kleine Wochenendhäuser. Sieben Kilometer von Bremerhaven entfernt nutzten vor allem die Städter die Möglichkeit, ins Grüne zu kommen. „200 Mark im Jahr zahle ich hier Platzmiete, und wir können das Haus sogar im Winter nutzen. Da fahren wir auf der zugefrorenen Weser Schlittschuh“, erzählt Harry Pfeyffer.
Die geringe Miete zog viele sozial schwächere Familien an. „90 Prozent hier haben ein bescheidenes Einkommen. 42 Prozent sind Arbeiter, 34 Prozent Rentner und 17 Prozent Arbeitslose und Kurzarbeiter.“ Wer etwas mehr verdiene, der hätte sich inzwischen eine andere Wochenendsiedlung gesucht. Heute haben noch etwa 400 Familien dort ihr Wochenend-Idyll. „Einige Rentnerpaare haben nur gut 1.000 Mark im Monat zum Leben. Die werden Probleme haben, etwa 2.000 Mark für den Abriß aufzubringen.“ An einen Umzug, so Pfeyffer, sei schon gar nicht zu denken. Die billigste Wochenendsiedlung wäre am Silber-See. „Aber da braucht man erst einmal einen Wohnwagen und zahlt dann für 80 Quadratmeter 800 Mark Platzmiete im Jahr. Dazu kommen Strom- und Wasserkosten, also etwa das Fünffache unserer jetzigen Miete.“
Als „regionalplanerischen Schildbürgerstreich und sozialpolitische Schande“ bezeichnete am Freitag Hans Mönninghoff, Mitglied der Grünen im niedersächsischen Landtag, daß bisher 53 Millionen für Geländeankäufe auf der Luneplatte und etwa die gleiche Summe für Straßenerschließungen ausgegeben wur
den: „Für Zuschüsse zur Umsiedlung der Laubenpieper aber ist kein Pfennig da.“ - „Wenn kein Ersatz da ist, werden sozial Schwache nicht heruntergejagt.“ Das hatte uns der Oberkreisdirektor Jürgen Prieß vor vier Jahren versprochen, klagt Hary Pfeyffer. „Heute spricht davon keiner mehr, und niemand ist für Zuschüsse zuständig.“
Die Bauaufsichtsbehörden hatten zunächst nichts gegen die ungenehmigten Häuschen unternommen. Dies änderte sich Mitte der siebziger Jahre, als das Gelände durch die Gemeindege bietsreform Loxstedt zugeordnet wurde. Durch das geplante Industriegebiet erhoffte sich der dortige Gemeinderat, wie die Bundesländer Niedersachsen und Bremen, einen Aufschwung der Region. Noch im seeschiffbaren Bereich der Weser gelegen, soll die Luneplate ein attraktiver Standort für Großbetriebe sein. So jedenfalls der 1983 noch einmal im niedersächsischen Kabinett bestätigte Plan. Die Wirtschaftsministerien von Bremen und Niedersachsen versuchen jedoch seit 10 Jahren vergeblich, Interessenten aus der Großindust
rie zu finden. Ein Industriegebiet Luneplate ist in neblige Ferne gerückt. Der Grund für eine Räumung der Wochenendsiedlung ist ebenso nebulös: Für den Landkreis Cuxhaven ist es ein alter Beschluß, der endlich vollzogen werden muß, für die Niedersächsische Landesregierung die Angst, jemand könnte „später einmal meinen, die Behörde hätte das alles nicht ernst gemeint“. Weiter befürchtet der Sozialminister eventuelle Klagen der Laubenpieper bei einem Baubeginn in fragwürdiger Ferne. Genauso können jedoch die Bauern auf den einzelnen Höfen am Rand der Industriefläche klagen. „Wir sind nicht gegen Industrie“, betont Harry Pfeyffer. „Wenn es hier konkret wird und die ersten Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, dann räumen wir schnellstmöglich.“
Seit dem 30.6. sollen die Laubenpieper ihre Häuser abreißen. Drei Monate Frist haben sie dafür. Grundlage der Entscheidung von 1985 ist ein Flächennutzungsplan aus dem Jahr 1978. Dieser sieht zwischen dem eigentlichen Gewerbegebiet und dem
Ortsteil Ueterlande eine Grünzone vor. In dieser Zone liegen die Wochenendhäuser. Grünzone heißt jedoch nicht Gartenzone. Gemeint ist ein unbebauter Schutzstreifen. „Bei einer Lärmbelastung muß eine solche Siedlung z.B. so weit weg sein, daß Arbeitsgeräusche nur noch eine Lautstärke von 35 Dezibel haben“, erklärt Hans Mönninghoff. „Eine Computerfertigungshalle wäre aber nicht laut und würde eine viel geringe Schutzzone benötigen. Da es noch keine Interessenten gibt und Imissionswerte daher unklar sind, kann man eigentlich auch noch keine Aussagen zur Breite des Schutzstreifens machen,“ meint Mönninghoff. Auffällig sei, wie der Schutzstreifen einen Knick um das Neubauviertel Auf der Jürde macht. „Physikalisch ist das nicht zu erklären, aber der Abriß wird so verhindert.“
Für die Grünen ist dies eine sehr strittige Entscheidung. „Wir bringen das noch einmal auf die Tagesordnung“, meint Hans Mönninghoff. „Für den 9.9. verlangen wir eine Schlußabstimmung im Landtag.“ U
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