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L E B E N S Z E I C H E N

 ■  Briefe an die Redaktion (10)

Wie jeden Morgen radle ich vom S-Bahnhof Tiergarten in Richtung Großer Stern, und wie so oft auf der „falschen“ Seite.

Die Radspur ist breit und glatt, und die Sonne scheint so schön auf dieser Seite, wogegen die andere in kühlem Morgenschatten liegt. Von weitem sehe ich ein geparktes Motorrad und daneben ein Motorradmännchen, dem Verkehr zugewandt.

Mir schwant Böses. Der Ordnungshüter schwenkt seinen Arm über die Radspur, worauf ich meine Fahrt verlangsame. Und dabei fing der Tag so gut an...

Das grüne Motorradmännchen erzählt mir etwas von Verkehrsvorschriften und ich ihm etwas von breiten Radwegen und Sonnenseite. Das Gespräch verläuft in ruhigem und vernünftigem Ton, und ich merke, daß ich einen Menschen vor mir habe. Am Ende läßt er mich meinen „falschen“ Weg fortsetzen. So fängt der Tag also doch gut an.

Nach ein paar Metern sehe ich einen Radler auf mich zukommen. Ich weiche nach rechts auf die Parkspur aus, damit der Entgegenkommende seinen Weg unbeirrt hätte fortsetzen können. Doch der Herr im mittleren Alter reißt seinen linken Arm herunter und bedeutet mir gestikulierend und mit ausgestrecktem Zeigefinger, ich solle auf die andere Seite fahren.

Ich rufe ihm zu: „Laß gut sein, du Affe“, und fahre weiter. Nach ein paar Metern drehe ich mich um und sehe wie mein Mitbürger seine Fahrt verlangsamt und sich bei dem Motorradmännchen beklagt. Mein Tag war gelaufen.

Hans Brandt

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