: Meyer-Rücktritt „heute nicht“
■ Bürgerschaftsdebatte über die polizeilichen und politischen Fehler im „Geisel-Drama“ / Vor personellen Konsequenzen sollen weitere offene Fragen geklärt werden / SPD warnt vor „hastigen Vorverurteilungen“
Für die SPD, die mit 54 von 100 Abgeordneten über die absolute Mehrheit im Bremer Landtag verfügt, lehnte ihr innenpolitischer Sprecher Peter Sakuth gestern in der Parlamentsdebatte über das Geisel-Drama einen Rücktritt des Innensenators mit folgender Formulierung ab: „Senator Meyer hat die Verantwortung, aber ein Rücktritt kommt für mich heute nicht in Frage.“ Sakuth warnte vor „hastigen Vorverurteilungen“. Nur das Untersuchungsergebnis der Staatsanwaltschaft könne Grundlage für personelle Konsequenzen sein. Fraktions-Vorsitzender Dittbrenner berichtete, die SPD-Fraktion lehne die Rücktrittsforderung ab. Man wolle „mit Bernd Meyer in eine politische Bewertung eintreten.“ Es sei nicht mutiger, in der Versenkung zu verschwinden, als aufzuklären und eventuell später Konsequenzen zu folgen zu lassen.
In der Debatte hatten sich nicht nur die Grünen, sondern auch die FDP durch ihren Fraktionsvorsitzenden Claus Jäger ausdrücklich von Todesschuß-Forderungen aus Bonner Koalitionskreisen distanziert. Friedrich van Nispen (FDP) wies darauf hin, daß die Polizei bei allen Fehlern „im Ansatz eine richtige Doppelstrategie gefahren“ habe.
Das Stichwort „Doppelstrategie“ hatte der Grüne Martin Thomas gegeben. (vgl. auch Bericht
Seite 1 und 3) Für ihn hat sich die Polizei „nicht nur beim finalen Todesmanöver in NRW, sondern schon seit der Geiselnahme in Gladbeck so verhalten, als ob die Wiederbeschaffung des Geldes und die Ergreifung der Täter wichtiger ist als der Schutz der Geiseln“. Versagt habe der „hochgerüstete polizeiliche Apparat“. Nicht die „sogenannten versäumten Chancen eines finalen Todesschusses“ seien der „Kardinalfehler der Polizei“ gewesen, sondern der „Irrglaube, man könne die Täter durch enge Beschattung im geeigneten Augenblick außer Gefecht setzen“.
Innensenator Meyer versicherte noch einmal, die Polizei habe kommunizieren wollen. Daß das zwischen 19 und 22 Uhr nicht passiert sei, dafür zitierte der Innensenator den Polizeipsychologen: Die Journalisten hätten das Kommunikationsbedürfnis der Bankräuber abgedeckt und damit den Polizei-Experten die Möglichkeit der Einflußnahme auf das Geschehen genommen. „Spätestens in dieser Situation“, als es um 30 Geiseln ging, so hatte der Grüne Martin Thomas erklärt, hätten „Politiker initiativ werden müssen, und jede Chance durch Anwesenheit vor Ort hätte wahrgenommen werden müssen, um Verhandlungen zu führen“.
Später, in den entscheidenden Minuten nach der Verhaftung der Komplizin auf der Raststätte
Grundbergsee sei „Alla dazwischengekommen“ und das habe „einige Minuten gedauert“, erläuterte Meyer. Man habe in der Einsatzleitung geglaubt, die Ver
haftung der Komplizin hätten die Bankräuber in dem Durcheinander nicht so schnell bemerkt.In den 14 Minuten, die verstrichen, bevor die Anweisung zur Freilas
sung der Rösner-Freundin kam, hatte die Einsatzleitung mit der niedersächsischen Polizei („Alla“) langwierige Gespräche über die Forderung der Geiselnehmer nach einem Radio geführt.
Der DVU-Abgeordnete Altermann bemühte den „Mann auf der Straße“, der das alles nicht verstehe, und fragte: „Warum haben Sie nicht GSG 9 eingesetzt?“ Ralf Fücks (Grüne) meinte, die einzige konsequente Alternative sei gewesen, den Bankräubern „freien Abzug“ zu gewähren - „Warum eigentlich nicht?“ Ein liberaler Innensenator müsse im Interesse des Lebens der Geiseln riskieren, den „Eindruck der Schwäche“ zu machen.
Im Rahmen der Parlaments-Debatte stellte sich Bürgermeister Klaus Wedemeier hinter seinen Innensenator: „Keiner hätte diese Tragödie mit ihrem Ausgang verhindern können“, erklärte er zu den Rücktrittsforderungen, „persönliche Fehlentscheidungen hat es nicht gegeben“. Gleichzeitig unterstellte er, daß die weiteren Untersuchungen zu neuen Erkenntnissen über Fehler und darüber führen könnten, „ob sie hätten vermieden werden können“.
In einer Art Schlußwort bedauerte der CDU-Fraktionssprecher den Innensenator: „Es wird ein langer Abschied werden.“
K.W.
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