Fauliger Tod an Italiens Adria

Der Algenteppich von 60 Kilometern Länge an der Küste killt auf zehn Jahre hinaus das Leben im Meer - und den Tourismus an der Küste / Umweltminister Ruffolo kündigt eine „ganz, ganz harte Linie“ an  ■  Aus Rom Werner Raith

Die Blicke des italienischen Umweltministers Giorgio Ruffolo und seiner für Zivilschutz Tourismus zuständigen Kollegen Lattanzio sowie Carraro wandern derzeit häufig zum Himmel: nur der da oben könnte auf die Schnelle übertünchen, was die drei seit Monaten und Jahren vor sich hergeschoben haben und was nun mitten in der Reisesaison über sie hereingeschlingert ist. Ein Algenteppich von mitunter 60 Kilometer Länge und 5.000 - 6.000 Meter Breite wabert vor den Küsten der Adria an der östlichen Stiefelseite entlang. Besonders betroffen sind die Regionen Triest, Venezien, Emilia Romagna, die Marken und die Abruzzen, einschließlich der großen Urlaubszentren von Venedig bis Rimini. Ein rötlich-brauner, mitunter gelblicher, dann wieder ins Grün schillernder Aufguß verfaulender Meeresflora, durchzogen mit Tierkadavern und zusammenklebenden Strandabfällen.

„Eine Katastrophe, die zu all den anderen Katastrophen kommt“, schaudert der Präsident der Region Emilia, Luciano Guerzoni, mehr als 100 von der Europäischen Kommission amtlich als „hochgefährlich“ eingestufte Industriebetriebe, ein Fluß namens Po, der heute mausetot ist, zehntausende von Schwarzbauten, die die Küste ruinierten, Tourismusburgen, die Städte zerstören - drei Monate Ameisenhaufen, neun Monate Friedhof und nur noch Zement ...

Und nun die Algen. Im Gegensatz zu den chemischen und biologischen Giften, die seit Jahr und Tag die Küsten unter Wasser zum toten Meer machen, ist dieser Teppich sichtbar, sinnfällig und damit „vielleicht auch das Menetekel, das die hier brauchen, um aufzuwachen“, wie die Grüne Abgeordnete Anna Donati sagt, die seit mehr als einem Jahrzehnt auf die Gefahren hinweist und sich dafür allerlei böse Vorwürfe gefallen lassen mußte. Im vorigen Jahr hatte sie dem damals gerade neuen Umweltschutzminister Ruffolo das Versprechen abgenommen, eine Nationale Konferenz über die Situation an der Adria einzuberufen - die bis heute nicht stattgefunden hat.

Immmerhin hat der Minister inzwischen die Flucht nach vorne angetreten und eine „ganz, ganz harte Linie“ angekündigt wobei die Grünen schmunzelnd die Formulierungen mitzählen, die Ruffolo, offenbar in Expertennot, direkt aus ihren jahrelangen Forderungen abgeschrieben hat: drastische Beschränkung zugeleiteter Waschmittel- und Chemierückstände, Förderung biologischer und weitgehendes Verbot synthetischer Düngemittel, Kläranlagen an den Flüssen ... „Doch auch so wird es“, so der Minister, „fünf Jahre dauern, bis wieder Leben in der Adria herrscht.“ Die Grünen schätzen da eher zehn Jahre - „schon weil die nun angekündigten Maßnahmen natürlich zuerst mal wieder Monate und Jahre schmoren werden, ehe sie realisiert sind.“ Für die kommenden Saisons sehen daher auch die eingefleischtesten Tourismus-Optimisten der Zone pechschwarz - tausende von Abbestellungen großer Reiseunternehmer sind bereits eingegangen.

Umso sehnsüchtiger wird tagtäglich der Blick zum Himmel wenn der nur einen gräßlichen Sturm schicken würde ...