Der Hitler-Stalin-Pakt und das Baltikum

■ Geheimes Zusatzprotokoll zum Nichtangriffspakt teilte Polen und baltische Staaten in Interessenssphären auf

Der Annäherung zwischen der Sowjetunion und dem nationalsozialistischen Deutschland am Vorabend des ZweitenWeltkriegs ging das Scheitern des sowjetischen Versuchs voraus, mit den Westmächten zu einem Arrangement zu kommen. Um ein Bündnis zwischen ihnen und Deutschland zu verhindern und in dem Glauben, Hitler würde keinen Zweifrontenkrieg wagen, entschloß sich Stalin im August 1939 zu einem Nichtangriffspakt mit Deutschland. Am 23.August 1939 wurde in Moskau der Vertrag unterzeichnet. Da in diesem Pakt strikte Neutralität auch für den Fall eines Angriffskrieges einer der vertragsschließenden Parteien vereinbart worden war, hatten die Nazis den Rücken frei für die Aggression im Westen. In einem „Geheimen Zusatzprotokoll“ wurden Polen, die baltischen Staaten und Bessarabien in „Interessen-Sphären“ aufgeteilt und ihre „territorial-politische Umgestaltung“ in Aussicht gestellt. Polen wurde bereits am 1.September 1939 von der deutschen Wehrmacht überfallen, am 17.September rückte die Rote Armee in Ostpolen ein. Die Eingliederung der drei seit 1918 unabhängigen baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die in dem Zusatzprotokoll bzw. in einem weiteren deutsch-sowjetischen „Grenz- und Freundschaftsvertrag“ vom 28.September 1939 der „sowjetischen Interessensphäre“ zugeschlagen wurden, erfolgte schrittweise: durch militärische „Beistandspakte“ erzwungene sowjetische Garnisonen im Herbst 1939; Bildung sowjetfreundlicher Regierungen im Frühsommer 1940; „Bitte um Aufnahme in die Sowjetunion“ durch die Parlamente aller drei Staaten am 21.Juni 1940 - eine „Bitte“, der der Oberste Sowjet innerhalb von zwei Wochen entsprach. Im Juni 1941 sollte die Unterwerfung perfekt gemacht werden, indem „sowjetfeindliche Elemente“ nach Innerrußland und Sibirien deportiert wurden. Etwa 60.000 Menschen wurden aus Estland, 34.000 aus Lettland und 35.000 aus Litauen verschleppt. Eine zweite Deportationswelle fand wegen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion nicht mehr statt, mit dem eine noch brutalere Operation begann.

Walter Süß