: Die Monotonie der Bombe
■ Seit Donnerstag läuft in der Schauburg (23 Uhr) Derek Jarmans „The Last of England“: Experimentell-Sein heißt Konventionen schon hinter sich gelassen zu haben
Vogelgezwitscher und blauer Himmel. Was kann es Schöneres geben? Dazu vielleicht eine Tasse Kaffee und ein nettes Gespräch. Doch da gibt es einen, dem zu Gutwetter und Tirili ganz andere Dinge einfallen. Der englische Regisseur Derek Jarman, seit seinen vielbeachteten Filmen „Tempest“, einer Shakespeare-Adaptation, und „Carravaggio“ auch breiteren Kinokreisen bekannt, zeigt vier paramilitärische Uniformgestalten, die einen Zivilisten an eine Mauer führen. Eine letzte Zigarette, die Streichhölzer, die ihm gereicht werden, steckt er ein. Als würde er sie noch gebrauchen können. MPs werden gespannt, Sirenen heulen und alte Super -Acht-Einblendungen zeigen eine schöne Frau in einem Osterglocken-Feld. Dann mehrere Salven, die ganz lang verhallen, und die Vorbereitungen zu dieser Exekution kommen immer wieder ins Bild. Es wird so schnell nicht aufhören, das weiß jeder.
Diese eindringliche Szene gehört zu Jarmans neuem Werk The Last of England. Er schuf damit eine brutale Abrechnung mit dem, was von England übriggeblieben ist. Gesellschaftliche und private Erinnerungen verknüpfen sich miteinander zu einem cineastischen Rauscherlebnis, das seinesgleichen sucht.Sans soleil, Opfer und Briefe eines Toten vermögen auf ihre Weise eine Vorstellung von dem zu vermitteln, was Jarman in erschütternder Weise in neunzig Minuten konzentriert hat.
Am Anfang war das Feuer, und ganz bestimmt wird auch alles in Flammen enden. Feuer und Wasser sind die bestimmenden Elemente einer hektisch sinistren Bestandsaufnahme eines heruntergekommenen ehemaligen Weltreiches. Schutt, Ruinen, Stahl
und Schmutz sind das Ambiente einer faszinierenden Nicht -Handlung, die keiner dramaturgischen Lenkung bedarf. Wenn jemals Bilder für sich selbst sprachen, dann tun sie es in diesen intelligenten Zusammen-und Übereinanderschnitten verschiedener Filmmaterialien. Super-Acht-Fragmente und Videoaufnahmen wurden auf 35mm aufgeblasen und dann in irrwitzigen Konstellationen montiert. Das ist anstrengendes Kino, keine Frage.
Nigel Terrys sorgsam spärliche Kommentare machen deutlich, daß es Derek Jarman keineswegs um eine fatalistische Abrechnung mit seiner degenerierten Heimat ging. Die Assoziationsketten, die sich unwillkürlich und auch unvermeidlich einstellen, bleiben nicht nur an England kleben. Eine der intensivsten Sequenzen, die das Kino der letzten Jahre hervorgebracht hat, nimmt ihren Ausgang wiederum in Gewehrsalven. Vor diesem akustischen Hintergrund taucht ein männlicher Tänzer im Bastrock auf, der um ein brennendes Ölfaß herum skurrile Bewegungen ausführt. Wieder kreist alles um das Feuer, und auch die abgehackten Einschübe, die eine Gruppe von nackten TänzerInnen zeigen, sind in feuerrotes Licht getaucht. Allmählich und sich immer weiter steigernd begleitet ein ultraharter Hip-Hop-Rhythmus mit Heavy-Metal-Riffs die zuk-kenden Leiber und mündet schließlich in einer völligen Kongruenz von Bild und Ton. Doch dieser fast als formale Erholung zu verstehende Moment löst sich schnell wieder auf, bevor er zum Videoclip verkommt. Eine Original-Rede Hitlers zum Überfall auf die Tschechoslowakei und seine faschistischen Überlegungen zur Erweiterung von ideologischen Denkzeiträumen lösen die nur Se
kunden dauernde Harmonie ab.
Die heile Welt von Familie und Gefühlen findet nur in alten Dokumentaraufnahmen von Jarmans Eltern und Großeltern statt. Doch auch die Gegenüberstellung mit den alten Bildern zeigt nur, wovor so viele Menschen die Augen verschließen. Der Zustand der Zeiten ist bei weitem nicht durch Zufälle bestimmt, noch sind verheerende soziale Katastrophen wie Urgewalten über die Menschheit gekommen. Alles hat seine Gründe und somit auch die manchmal menschenverachtenden Gegenmaßnahmen vermummter Aktivisten. Wer jemals in den Slums von Wolverhampton oder Liverpool Zeuge von Ohnmacht und Apathie der dort lebenden Menschen war und wer sich auch nur in Ansätzen mit der Armut im eigenen Land konfrontiert sah, wird Jarmans meisterhafte Bilderorgie zum Anlaß einer längeren Reflexion nutzen.
Ein „Was geht das mich an?“ oder „Seh‘ ich was Böses, denk‘ ich nicht hin“ macht dieses Filmwerk unmöglich. The Last of England ist ein verdammtes Muß.
JürgenFrancke
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