: Abtreibung und Embryonenschutz
■ Renate Sadrozinski (Pro Familia) zur unseligen Verquickung von §218 und Embryonenschutz / Der Embryo ist kein Träger eigener Rechte, denn er existiert außerhalb der Frau nur, wenn Zwecke verfolgt werden, die abzulehnen sind
Seit vielen Jahren trete ich ein für die Streichung des §218 aus dem Strafgesetz und für bessere Abtreibungsbedingungen. In den vielen Diskussionen, die ich in der letzten Zeit dazu geführt habe, tauchte immer häufiger ein neues Argument auf, das ich zunächst für völlig abwegig hielt; schließlich mußte ich aber einsehen, daß es von den VertreterInnen wirklich ernst gemeint war, so daß ich mich zur Auseinandersetzung damit gezwungen sah: Es geht um die Behauptung, die Forderung nach ersatzloser Streichung des §218 behindere die scharfe Kritik an Embryonenexperimenten, Genmanipulation und neuer Fortpflanzungsmedizin. Wegen der rasanten Ausbreitung dieser Forschungs- und Praxisbereiche sei ein Umdenken in der Abtreibungsfrage nötig. (. . .)
Schlagwortartig läßt sich die Diskussion wie folgt zusammenfassen: Wer Experimente mit Embryonen ablehnt, muß auch gegen Schwangerschaftsabbruch sein; oder: Wer für die Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs eintritt, befürwortet damit die Gen- und Fortpflanzungsmedizin. (. . .)
Wann beginnt das Leben des Menschen?
Diese Frage ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit und wurde schon auf vielfältige Weise beantwortet. Eindeutige und allgemeinverbindliche Aussagen sind deshalb nicht möglich, weil in die Beurteilung religiöse Glaubenssätze, ethische Normen und Erkenntnisse der Wissenschaft eingehen und je nach weltanschaulicher Position individuell gewichtet werden. Auf einer Skala von allen möglichen Meinungen lassen sich an den zwei Endpunkten folgende Antworten skizzieren:
„Der Mensch ist Mensch von Anfang an.“ Das soll heißen: Das Leben des Menschen beginnt mit der Befruchtung, also mit der Verschmelzung von weiblicher Eizelle mit männlicher Samenzelle. Alle weiteren Entwicklungsstufen - auch die Geburt - markieren keine erheblichen Zäsuren. Diese hauptsächlich von der katholischen Kirche vertetene Auffassung will beweisen, daß die Leibesfrucht in jedem Stadium denselben Wert hat - und damit Schutz genießen muß wie der lebendige Mensch. Die befruchtete Eizelle wird als Gottesgeschöpf außerhalb jeglicher menschlichen Verfügung betrachtet.
„Das Leben des Menschen beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tode.“ In dieser Auffassung stellen die Befruchtung und die verschiedenen Stadien der Schwangerschaft Entwicklungsstufen dar, die zur Entstehung des Menschen notwendig sind. Sie werden aber nicht gleichgesetzt mit dem lebendigen Menschen. Erst die Geburt, d.h. die Trennung von Leibesfrucht und Mutter, stellt den entscheidenden Schritt dar, der den neuen Menschen zu einem eigenständigen Wesen und einem Mitglied der Gesellschaft macht. Ddie VertreterInnen dieser Meinung halten sich an die deutlich erkennbare, für alle Menschen gleiche und nicht interpretationsbedürftige Geburt als entscheidenden Entwicklungsschritt, weil alle anderen nicht eindeutig sind und sicherer Erkenntnis sich entziehen.
Zwischen diesen beiden radikalen Meinungen liegen verschiedenen andere: So urteilte 1975 das Bundesverfassungsgericht bei der Ablehnung der Fristenregelung, daß die Einnistung des Eies circa 14 Tage nach der Befruchtung der entscheidende Schritt zur Menschwerdung sei und daß danach die Leibesfrucht ebenso vom Grundgesetz geschützt sein soll wie der lebendige Mensch.
Obwohl die Frage nach dem Beginn des Lebens uralt ist, erhält sie ganz neue Brisanz, denn sie wird neuerdings nicht nur von katholisch-konservativer Seite in der Abtreibungsdebatte benutzt, sondern spielt auch in der grün -alternativen Argumentation eine Rolle. Besonders seit die Verknüpfung von §218 StGB und Embryonenschutz hergestellt wird, scheint es wichtig, sie unzweifelhaft zu beantworten.
Vorausgesetzt wird - denn andernfalls gäbe die Antwort kein Argument für oder gegen Abtreibung, für oder gegen Embryonenexperimente her -, vorausgesetzt wird, daß in unserer Gesellschaft ein absolutes Tötungstabu besteht, also das Leben jedes Menschen unbedingt geschützt werden muß, für niemanden verfügbar ist. Trotz dieser richtigen und für das menschliche Zusammenleben unabdingbaren Übereinkunft gibt es eine Reihe von Lebensgebieten, in denen Grenzfälle vorkommen, die keiner eindeutigen Beurteilung unterliegen: Notwehr, Selbsttötung, Sterbehilfe - auch die Tötung von Kriegsgegnern wird von vielen Menschen als Ausnahme vom absoluten Tötungsverbot anerkannt. Noch viel weniger strikt ist das Tötungsverbot, wenn wir uns vom Menschen entfernen und auf die Tier- und Pflanzenwelt sehen. Da halten wir es für unser selbstverständliches Recht, in „das Leben“ einzugreifen, es zu unserem Nutzen herzustellen, zu verändern, zu töten, zu vernichten - und nicht nur zur Existenzerhaltung, sondern auch zur Erbauung oder aus Neugier.
Es geht also in Wirklichkeit nicht darum, wann das Leben beginnt, sondern ob Schwangerschaftsabbruch als Tötungshandlung betrachtet werden muß. Ob überhaupt (und gegebenenfalls durch wen und bis zu welchem Entwicklungsstadium) über die Beendigung einer Schwangerschaft bzw. über Embryonenexperimente entschieden werden darf.
Auch diejenigen, die für eine Abschaffung der Abtreibungsstrafe eintreten, halten strikt am Tötungstabu fest. Für sie gilt es für den Menschen, ein lebendiges Wesen, das von einer Frau geboren wurde.
Wird Lebensschutz aufgegeben, wenn der §218 StGB abgeschafft wird?
Der §218 StGB und das geplante Beratungsgesetz unterstellen, der Staat müsse und könne die Leibesfrucht vor der (oder gegen die) schwangere Frau schützen. Die Gemeinschaft bzw. ihre Repräsentanten - Gesetzgeber, Ärzte, Staatsanwälte, Richter - sollen darüber wachen, daß Frauen nicht (ohne staatlich anerkannten Grund) abtreiben. Will man aber den Embryo wirksam schützen, muß man nur die körperliche und seelische Unversehrtheit der Frau respektieren und garantieren; denn niemand anders als sie selbst kann die Leibesfrucht schützen. Gegen den Willen der Schwangeren kann man das nur versuchen, indem ihre Würde und körperliche Integrität angegriffen, ja zerstört werden. Denn eine Schwangerschaft verlangt von der Frau einen einzigartigen Einsatz: Sie schafft den neuen Menschen unter Einsatz ihres eigenen Körpers und Lebens. Diese Beziehung ist mit keiner anderen vergleichbar. Die Weigerung einer Frau, eine solche Beziehung einzugehen bzw. fortzuführen, kann deshalb nicht verglichen werden mit Tötungshandlungen. Der Abbruch ist nicht die Zerstörung eines selbständigen anderen, sondern die Weigerung, einen anderen im eigenen Leibe herzustellen.
Wer hat ein Interess an Experimenten mit menschlichen Embryonen bzw. Keimzellen? Wer hat ein Interesse an Abtreibung?
In der öffentlichen Diskussion wird das Unglück der ungewollt kinderlosen Frauen bzw. Paare als der Motor für die Forschung über die künstliche Fortpflanzung angesehen. Diesen bedauernswerten Menschen solle durch in-vitro -Fertilisation, künstliche Besamung, Eispende, Embryo -Transfer, Eiverpflanzung usw. zu einem (zumindest teilweise) eigenen Kind verholfen werden. Das ist Augenwischerei. (. . .)
Es spricht viel dafür, daß nicht das Unglück der Frauen diese Forschung vorantreibt, die Geld und Ansehen in der Wissenschaftlergemeinde bringt und der männlichen Hybris entspricht, alles zu wollen, alles zu können, alles zu machen, sondern daß Genforschung, d.h.letztlich die Menschenzüchtung, das Ziel ist. Das Interesse an den unfruchtbaren Frauen ist bestimmt davon, den Entwicklungsprozeß des Menschen genau zu studieren und zu simulieren und die entsprechenden Einzelteile zu gewinnen.
Die Begründung, daß dies zur Erforschung von Krankheiten diene und insofern segensreich für uns alle sei, ist im Einzelfall sogar glaubhaft. Dennoch vermag dieser versprochene Nutzen die vorhersehbaren und unvorhersehbaren und die unberherrschbaren Folgen nicht aufzuwiegen, die mit dem Eingriff in die menschliche Keimbahn in Gang gesetzt werden. Die Naturveränderung durch die Genforschung und Bio -Industrie geht weit über das hinaus, was durch Atomspaltung und deren militärische und industrielle Nutzung angerichtet wird.
Eine Frau, die eine Abtreibung vornimmt, verfolgt kein anderes Interesse mit diesem Eingriff, als die Schwangerschaft nicht auszutragen. Sie produziert keine anderen Folgen als die Beendigung dieser Schwangerschaft, zieht keinen darüber hinausgehenden Nutzen daraus und schädigt niemanden. Es ist ein Akt, der mit Selbsterhaltung oder Notwehr verglichen werden könnte.
Ist das Selbstbestimmungsrecht teilbar: Recht auf Abtreibung - ja / Recht auf ein Kind - nein?
„Kinder oder keine - entscheiden wir alleine!“ Mit diesem Slogan kämpft die Frauenbewegung seit langem für die Abschaffung der Abtreibungsstrafe. Begründet werden diese Forderungen mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren eigenen Körper und ihr eigenes Leben. Feministinnen kritisieren energisch die neue Fortpflanzungsmedizin, weil sie frauenfeindlich und gesundheitsschädlich ist. Dieser Kritik wird - häufig auch von Frauen - entgegengehalten, daß der Wunsch nach einem (eigenen) Kind mit demselben Selbstbestimmungsrecht begründet werden kann. Das Recht auf ein Kind müsse also gleichermaßen von der Frauenbewegung vertreten werden.
Weder Abtreibung noch ein Kind kriegen sind in sich Akte der Selbstbestimmung. Es geht vielmehr darum, die Entscheidung für den Abbruch oder das Austragen einer (ungewollt) eingetretenen Schwangerschaft ohne Fremdbestimmung treffen zu können. Dafür wäre die Abschaffung des §218 StGB die Voraussetzung. Daraus kann kein Recht auf die Herstellung einer Schwangerschaft abgeleitet werden, denn bei der unfreiwilligen Kinderlosigkeit liegt keine Fremdbestimmung der Frau vor. Ein Verbot der künstlichen Fortpflanzungsmethoden würde die persönliche Würde und die körperliche Unversehrtheit der Frau nicht verletzen.
Abgesehen davon, daß es keinen Anspruch auf ein (eigenes) Kind geben kann, muß geprüft werden, ob nicht gerade von der künstlichen Fortpflanzungsmedizin ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit und die Würde der Frau ausgeht. Denn die Methoden, die Unfruchtbarkeit zu überwinden, sind keineswegs unschädlich. Viele der Risiken sind bekannt, andere werden erst nach längerer Zeit auftreten oder erkannt werden: hochdosierte Hormonbehandlung zwecks Superovulation, mögliche Verletzungen bei der Eientnahme bzw. beim Embryotransfer, Narkoserisiken, Ultraschalluntersuchungen, Amniozentese, Gefahr von Eileiterschwangerschaften, Fehlgeburten, Mehrlingsgeburten, Risikogeburten und nicht zuletzt die psychische Belastung durch die große Zahl von mißlungenen Behandlungen. Ungeklärt ist selbstverständlich immer noch, wie sich die Manipulation an Eiern, Samen, Zygoten, Embryonen auf das so entstanden Kind auswirkt.
Welches Risiko jede einzelne Frau auf sich nimmt, ist nicht kalkulierbar - weder für sie noch für den Arzt. Die schweren gesundheitlichen und seelischen Schäden werden von allen Beteiligten bisher heruntergespielt, um das „Ziel“ nicht zu gefährden: die Frauen/Paare wünschen sich ein Kind, die Mediziner wollen forschen und Karriere machen.
Wozu führt die Verknüpfung der beiden Diskussionen?
Der §218 schützt nicht „das Leben“, im Gegenteil: Er verwehrt den Frauen eine eigene, selbständige Entscheidung und setzt sie schutzlos der Willkür anderer aus. Er führt zu medizinisch unverantwortlicher Behandlung, zur Demütigung der bittstellenden Frauen sowie deren finanzieller und sexueller Erpressung. Das Abtreibungsverbot stellt einen Anschlag auf das Leben und die Gesundheit von uns Frauen dar.
Fortpflanzungsmedizin und Embryonenexperimente verändern den Menschen - als Gattung und als einzelnen. die Veränderung ist insgesamt nicht abschätzbar, letztlich nicht beherrschbar. Aber auch da, wo die Ergebnisse überschaubar sind, sind die Ziele nicht wünschbar: Menschenzüchtung und Zuchtwahl. Die Frauen werden in diesem Arrangement schließlich zu (Ersatz-)Teile-Lieferantinnen bzw. Brutgefäßen degradiert, oder sie sollen Kinder zum „Ausschlachten“ produzieren. Die angeführte Kritik begründet nicht die Forderung nach bezahlter Leihmutterschaft, nach erfolgreicheren Behandlungskommissionen, nach strengeren Gesetzen, nach sorgfältiger Kontrolle, etwa in Frauenhand.
Es bedarf keines Embryonenschutzgesetzes, weil der Embryo kein Träger eigener Rechte ist. Er existiert außerhalb der Frau nur, indem abzulehnende Zwecke verfolgt werden. Solange „überzählige“ Zygoten aus IVF-Behandlungen vorhanden sind, müssen sie ohne weitere Untersuchung, Konservierung oder Experimente beseitigt werden, denn ihnen kommt kein eigenes, schutzwürdiges Lebensrecht zu.
Genmanipulation, Embryonenexperimente und In-vitro -Fertilisation (und ähnliche medizinische Eingriffe) müßten verboten werden; ein genereller Ausstieg aus diesem Medizin und Industriezweig muß durchgesetzt werden.
Die Fehlschlüsse in der Debatte haben einen gemeinsamen Hintergrund: die Isolation des „Embryos“ aus der biologisch -sozialen Einheit mit der schwangeren Frau. Das geschieht durch den Paragraphen 218 rechtlich und moralisch, bei der In-vitro-Fertilisation, beim Embryo-Transfer und bei den Experimenten mit Embryonen technisch-stofflich. Das ist sozusagen der „Sündenfall“, der alle weiteren Argumente bestimmt. Wir haben uns daran gewöhnt, daß die Lebensschützer ihre Diffamierung der abtreibenden Frauen damit begründen, daß ohne ihre „Lobby für die Ungeboreren“ die Ehrfurcht vor dem Leben schwinden würde. Wenn jetzt so getan wird, als hindere der konsequente Kampf gegen die Abtreibungsstrafe am Kampf gegen Eugenik und Fortpflanzungsmedizin, dann stellt das die wirklichen Verantwortlichkeiten auf den Kopf. - Ende der Serie
Diesen Beitrag entnahmen wir (stark gekürzt) dem Buch von Susanne v. Paczensky und Renate Sadrozinski (Hg.), §218: Zu Lasten der Frauen, rororo aktuell, 190 Seiten, 9,80 DM, das am 1.September erscheint.
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