Einsatz in Berlin

Randbemerkungen zum Einsatz von Einheiten der Bereitschaftspolizei der Länder im Juni 1987 in Berlin  ■ D O K U M E N T A T I O N

Vom 9. bis 15.Juni 1987 wurden zum ersten Mal Einheiten der Bereitschaftspolizeien der Länder in Berlin eingesetzt, eine Premiere, die reibungslos verlief. Befürchtete Schwierigkeiten auf den Transitwegen blieben aus. Inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß die Bereitschaftspolizei im Herbst erneut zur Unterstützung der Berliner Kollegen eingesetzt werden wird. Der nachfolgende Beitrag mag für die Vorbereitungen hilfreich sein.

Wer eine Reise tut, der kann etwas erleben - dies geflügelte Wort kann wörtlich verstanden werden, wenn man den Einsatz in Berlin noch einmal vor dem geistigen Auge Revue passieren läßt. Was hier für die II. Abteilung der niedersächsischen Landesbereitschaftspolizei (II.LBPN) aus Braunschweig gesagt wird, gilt sinngemäß für alle eingesetzten Kräfte aus der Bundesrepublik.

Anläßlich der 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin standen der Berliner Polizei drei Großeinsätze ins Haus:

Aufzug mit anschließender Versammlung unter freiem Himmel als Demonstration gegen den Besuch des US-amerikanischen Präsidenten (Reagan-Demo) am 11.Juni 1987;

Besuch des US-amerikanischen Präsidenten in Berlin am 12.Juni 1987;

Tag der alliierten Streitkräfte am 13.Juni 1987 mit Generalprobe am 10.Juni 1987.

Dazu eine Vielzahl von sogenannten Spontandemos.

Nach den vorliegenden Erkenntnissen war voraussehbar, daß mit einem vermehrten Zulauf von Gruppierungen gewaltbereiter Personen aus dem Bundesgebiet und dem westlichen Ausland zu rechnen war. Nach Lageeinschätzung der Berliner Polizei wurde für die „Anti-Reagan-Demo“ mit einem „Schwarzen Block“ von circa 2.000 Personen als Störpotential gerechnet. Diese Lageeinschätzung wurde noch übertroffen.

Aufgrund dieser Erkenntnisse forderte der Innensenator von Berlin Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei der Länder und Kräfte SEK zur Unterstützung an. Im einzelnen wurden folgende Einsatzeinheiten der Bereitschaftspolizei angefordert: eine Einsatzhundertschaft Baden-Württembergs, eine EHu Bayerns, eine EHu Hamburgs, eine EHu Hessens, eine EHu Rheinland-Pfalz‘, eine EHu Schleswig-Holsteins und eine Abteilung Niedersachsens ohne eine Hundertschaft (dazu SEK Niedersachsen).

Es soll hier nicht über taktische Einsatzerfahrungen berichtet werden, sondern über die Umstände und Besonderheiten, die bei einem Einsatz in Berlin für Einsatzhundertschaften aus dem Bundesgebiet relevant werden. In einer ersten Einsatzbesprechung am 2.Juni 1987 wurden die Probleme, die sich aus einem Berlin-Einsatz ergeben, aufgelistet. Die Aufmerksamkeit war zu diesem Zeitpunkt nicht den eigentlichen Einsätzen, sondern den vorbereitenden Maßnahmen der Verlegung der Kräfte nach Berlin zu widmen.

Anders als eine Verlegung von Kräften nach Frankfurt oder Hamburg mußten hier internationale Verträge sowie die Rechte der Alliierten in Berlin beachtet werden. Die erste Frage, die sich stellte, lautete: „Haben alle Beamten einen Reisepaß?“ Das war nicht der Fall - aber wenn es sein muß, kann alles sehr schnell gehen. Die zuständigen Meldestellen in Niedersachsen arbeiteten vorbildlich, und am Reisetag konnte jeder Beamte seinen Paß vorzeigen.

Danach war zu klären, wie wird die Abteilung verlegt - auf der Transitstrecke Helmstedt-Berlin oder möglicherweise auf dem Schienenweg. Aus Zweckmäßigkeits- und Kostengründen lautete die Entscheidung: „Die II.LBPN verlegt im offenen Marsch nach Berlin unter Beachtung des Transitabkommens (Modalitäten für Fahrten durch die DDR mit Polizeikraftfahrzeugen)“. Jetzt waren die Sachgebiete 21/22/23/FM/K/WuG gefragt.

Nach den Absprachen der Transitdelegation der Bundesregierung und der Transitkommission sind bei der Benutzung der Transitwege folgende Punkte zu beachten:

Dienstkraftfahrzeuge (ausgenommen SW1 und 3) dürfen die Transitwege befahren;

Hoheitszeichen, Aufschriften „Polizei“ sind abzukleben;

bei Wasserwerfern sind die Stahlrohre abzunehmen;

blaue Rundumleuchten bleiben bei allen Fahrzeugen offen, dürfen aber nicht benutzt werden;

die Einheiten müssen im offenen Marsch verlegen. Abstand von Kfz zu Kfz 30 Minuten. Eine Ansammlung von Fahrzeugen an den DDR-Kontrollpunkten sowie auf den Transitwegen ist zu vermeiden;

Schußwaffen (nur Pistolen, zum Personenschutz zusätzlich Maschinenpistolen und die dazugehörige Munition) können mitgeführt werden, müssen aber von den Trägern einzeln deklariert und in Kisten aufbewahrt werden;

Funkgeräte können in den Kfz bleiben, müssen aber deklariert werden und sind in der DDR nicht zu benutzen;

Uniformen und F- und E-Mittel können verdeckt mitgeführt werden.

Nach Prüfung der o.a. Vorgaben stellte sich der Waffen- und Funkgerätetransport als problematisch dar. Das Deklarieren und Verladen der Waffen und Funkgeräte in den Kontrollstellen wäre zu zeit- und kostenaufwendig gewesen. Pro Waffe und Funkgerät sind z.B. für Hin- und Rückfahrt 15 DM zu entrichten. Der Entschluß, das Gerät per Luftfracht nach Berlin zu bringen, war schnell gefaßt. Nur, mit dem Verpacken und Versenden war es nicht getan. Die erste Fluggesellschaft, die angesprochen wurde, erklärte kurz und bündig, daß sie keine Waffen nach Berlin transportieren würde. Die zweite Gesellschaft (BEA) sagte den Transport zu, forderte aber eine Einfuhrgenehmigung der zuständigen Schutzmacht in Berlin (das Foreign Office in London erteilte die Zustimmung). Nach mehreren Ferngesprächen kam ein Tag vor dem Abmarsch die geforderte Genehmigung und damit konnte das Gerät (2,5 Tonnen) in Marsch gesetzt werden. Die übrigen Vorbereitungen unterschieden sich nicht von Einsätzen im Bundesgebiet. Absprachen mit den Berliner Kollegen über Unterbringung, Verpflegung und so weiter liefen routinemäßig.

Am 9.Juni 1987 um fünf Uhr fuhr das erste Kraftfahrzeug der II.LBPN in den Kontrollpunkt Marienborn (DDR) ein. Das schließende Kraftfahrzeug verließ den Kontrollpunkt Helmstedt am 10.Juni 1987 um drei Uhr. Ab drei Uhr marschierte auf dem gleichen Weg eine Hundertschaft aus Rheinland-Pfalz. Insgesamt wurden circa 150 Kfz auf den Transitstraßen nach Berlin gebracht.

Der Marsch über die Transitstrecke war problemlos. Die Abfertigung korrekt. Wartezeiten wurden nicht gemeldet. Allerdings war eindeutig eine Überwachung der Strecke durch DDR-Sicherheitskräfte erkennbar. Befuhr ein Dienstfahrzeug einen Parkplatz, war die Volkspolizei unverzüglch zur Stelle.

In Berlin angekommen wurde Quartier gemacht und gesagt frei nach dem Berliner Kabarettisten Fritz Reuter: „Jetzt fangen wir gleich an.“ Aber weit gefehlt. Jetzt machte uns der besondere Status von Berlin viel zu schaffen. Anders als in Wackersdorf, Hanau oder Kalkar mußten für alle Beamten „Vorläufige Dienstausweise“ für den Einsatz in Berlin ausgestellt werden. Folge: Listen schreiben. Anders als in Hamburg, Hessen oder Bayern mußten alle Dienstkraftfahrzeuge mit Berliner Kennzeichen ausgerüstet werden. Folge: Listen schreiben. Anders als bei Einsätzen im Bundesgebiet müssen Funkgeräte und Waffen deklariert werden. Folge: Listen schreiben (Die Ärmsten! d.S.). Alle Länderabzeichen an den Uniformen und die Mützensterne wurden ausgetauscht. Dies ohne Listen. Nachdem die Westler (so der Berliner Jargon (Oh, du Wessi! d.S.)) auf die geschilderte Weise richtige Berliner geworden waren, ging es in die sich überschlagenden Einsätze. Die Medien haben in diesen Tagen umfassend über die Vorkommnisse in Berlin berichtet.

Nach Ende der Einsätze und nach einem privaten Besuch des Ku'damms begann die Umwandlung vom Berliner Schutzmann zum bundesdeutschen Bereitschaftspolizisten. Waffen abgeben, Funkgeräte ausbauen, verladen; Kennzeichen umsetzen, Kennzeichnung überkleben; Geräte verladen; Dienstausweise abgeben. Am 15.Juni waren wir wieder marschbereit.

Die Gastgeber wären keine Berliner, wenn sie uns nicht mit einem besonderen Dankeschön verabschiedet hätten. Die Einsatzabteilung1 (EA1) aus Schulzendorf, die GdP sowie der Personalrat ließen es sich nicht nehmen, für alle Einsatzkräfte, die von der EA1 betreut wurden, ein kaltes Büffet zu richten und ein Faß Bier anzustechen.

Am Schluß dieses sicher sehr oberflächlichen und nicht alle Ereignisse erfassenden Berichts will ich noch einmal auf das Motto eingehen - wer eine Reise tut, der kann etwas erleben. Erlebt haben wir neben dem harten Einsatz (acht Verletzte der Bepo Braunschweig) vor allem die herzliche Aufnahme durch die Berliner Bevölkerung und die freundliche und hilfbereite, fast liebevolle Betreuung durch die Berliner Kollegen. Dafür einen besonderen Dank und die von Herzen kommende Zusage, daß wir jederzeit gern wieder nach Berlin kommen, wenn man uns ruft.

Aus 'Bereitschaftspolizei - heute‘ 5/88

Autor: Rudolf Högel, Braunschweig