: Jaruzelski fährt Doppelstrategie
■ Grubenstreiks durch Polizei gebrochen / Regierung hofiert Walesa / Heute Sonder-ZK-Sitzung anberaumt
Warschau (ap/dpa/afp/taz) - Die polnische Polizei hat gestern ihre Taktik fortgesetzt, die Streiks in den schlesischen Bergwerken durch gezielte Einzeleinsätze nacheinander zu beenden. Im Gebiet von Jastrembie herrschte Donnerstag abend seit 23 Uhr Ausgangssperre, ausländischen Journalisten wurde die Zufahrt verwehrt. Vor der Steinkohlenzeche „Juli Manifest“, von der die gegenwärtige Streikwelle in Polen vor elf Tagen ihren Ausgang nahm, waren in der Nacht von Donnerstag zu Freitag etwa 100 Bereitschaftsfahrzeuge und Wasserwerfer aufgezogen. Der Direktor der Zeche wandte sich mit einem drastischen Räumungsappell an die über 600 unter Tage verschanzten Bergleute und behauptete, aus der Grube trete lebensgefährliches Methangas aus. Außer diesem Bergwerk wurden am Freitag noch die Gruben „Moszczenica“ und „30 Jahre Volkspolen“ von Streikenden besetzt, vier andere Bergwerke waren von den Streikenden geräumt worden. Während Regierungssprecher Urban behauptete, die berüchtigten Sondereinheiten ZOMOS der Polizei hätten bei den Räumungen nur „assistiert“, verlautete aus Kreisen der Solidarnosc, daß sich die Kumpels in einigen Fällen von den riesigen Polizeiaufgeboten einschüchtern ließen. So machten in Kattowitz die Polizisten vor der Räumung der Grube „Krupinski“ gewaltigen Lärm, indem sie auf ihre Schilde schlugen, gleichzeitig wurden von einem Hubschrauber aus Flugblätter über der Zeche abgeworfen. Bei der Räumung anderer Gruben wurden Augenzeugenberichten zufolge zahlreiche Kumpels zusammengeschlagen.
Während auch in Nowa Huta die Streikfront abbröckelte, hat sich im Stahlwerk Stalowa Wola in Südostpolen ein neues Streikzentrum gebildet: dort befanden sich Freitag morgen 3.000 Arbeiter im Ausstand.
Ganz anders sah die Situation in Stettin und Danzig aus. Während die Versorgung der Werften mit Lebensmitteln von offizieller Seite sichtlich toleriert wurde, beendete Professor Andrzej Stelmachowski, der Vorsitzende des „Klubs katholischer Intellektueller“, seine Mission bei Arbeiterführer Lech Walesa auf der Lenin-Werft in Danzig und kehrte nach Warschau zurück. Fortsetzung auf Seite 6
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Dieser erste Kontakt soll gut unterrichteten Kreisen zufolge von Politbüromitglied Josef Czyrek ausgegangen sein, der als enger Mitarbeiter von Staatschef Jaruzelski gilt. Adam Michnik, Berater Walesas in Theoriefragen, äußerte auf einer Pressekonferenz zu dem Besuch, daß aufgrund des Verhaltens der Sicherheitskräfte in den letzten Tagen bei der Solidarnosc ein begründetes Mißtrauen gegenüber der Regierung bestehe. Michnik äußerte sich auch zu dem Angebot der offiziellen polnischen Gewerkschaftsvereinigung OPZZ, mit der Solidarnosc gemeinsam die Rechte der Arbeiter an der Ostseeküste zu verteidigen: Walensa sei nur bereit, über ein solches Programm zu verhandeln, wenn sich die OPZZ öffentlich für einen Gewerkschaftspluralismus ausspräche. Die Frage der Gewerkschaften soll heute in Warschau auf einer Sondersitzung des Zentralkomitees der Partei erörtert werden und wird als politische Kraftprobe angesehen.
BK
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