: Das Gift, das aus der Kiste kam
Obst- und Gemüsekisten mit dem Holzschutzmittel PCP verseucht / PCP-Verbot seit 1987 in der BRD / Dioxinhaltige Kisten kommen per Import / Aktion der Grünen auf dem Stuttgarter Großmarkt / Gift aus der Kiste verseucht Obst ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier
Verlassen stehen ein paar Sonnenblumen an einen Pfeiler gelehnt, behutsam führt ein Arbeiter ein Topfplänzchen auf einem Hubwagen vorbei, noch herrscht geschäftiges Treiben. Aber der Großteil dessen, was schon am Mittag in den Schüsseln dampfen wird, ist bereits weggekarrt. Stuttgarter Großmarkt, es ist acht Uhr morgens, die baden -württembergischen Grünen haben eingeladen.
Doch nicht den chlorophylgrünen Salatköpfen, den nitratschwangeren Tomaten, den pestizidstrotzenden Weintrauben gilt heute ihre Aufmerksamkeit - Kisten sind es. Einfache Obst- und Gemüsekisten, wie sie zu Tausenden hier über den Großmarkt gekarrt werden. Immer wieder greift der ehemalige Grüne Landtagsabgeordnete Dieter Stürmer mit spitzen Fingern eine aus einem Haufen, bunt ist die Herkunft darauf vermerkt, Battista aus Italien, Alco Verico aus Griechenland, Hermes, Sevastina oder Cachetto Luigi. Stürmer, der Chemiker, legt die Kisten zur Seite und wischt sich die Finger. „Was ich eben angefasst habe“, meint er, „ist toxisch nur gerade vierzig 40mal so belastet wie Zyankali.“
Ein paar Journalisten stellen Fragen, Blitzlichter. Gemüsehändler und ein paar Arbeiter sind herbeigelaufen, der Chef des Großmarkts stellt sich den Fragen. Aus Presseveröffentlichungen oder erst heute haben sie erfahren, mit welchem Zeug sie Tag für Tag hantieren. Ein Großteil der Obst- und Gemüsekisten, hauptsächlich die aus Frankreich, Spanien und Griechenland, sind mit Pentachlorsphenol (PCP) oder anderen Pilzgiften imprägniert, obwohl PCP seit gut einem Jahr in der Bundesrepublik wegen seiner krebserzeugenden Wirkung verboten ist. Nur einige hundert Meter weiter, auf dem Schlachthof, war erst vor kurzem den Metzgern der Hormonskandal in die Glieder gefahren, jetzt fürchtet man auch hier um Umsätze.
Dioxin im Obst . . .
PCP, früher auch in der Bundesrepublik als Holzschutzmittel gegen Pilze und Holzbläue in Wohnungen, öffentlichen Einrichtungen und für Industriehölzer verwandt, enthält das Seveso-Gift Dioxin. Eine Erklärung, weshalb auch an Obst und Gemüse Spuren von PCP entdeckt wurden, gab es lange Zeit nicht. Einem Vorschlag der Bundesrepublik, die Herstellung und Verwendung von PCP europaweit zu verbieten, widersetzten sich andere Länder des gemeinsamen Marktes, vor allem Frankreich. In großem Umfang wird das Gift vom französischen Staatsbetrieb Rhone Poullain auch weiterhin hergestellt.
Und weil die Verpackung von Obst und Gemüse, aber auch Bananenkartons oder schwere Textilien wie Planen- und Zeltstoffe auf dem europäischen Markt keine Grenzen kennen, kommt PCP wie auf jeden, so auch auf den Stuttgarter Großmarkt. Zehn solcher Spankisten, auf dem Großmarktgelände zufällig zusammengetragen, hatten Chemiker der baden -württembergischen Grünen in den vergangenen Tagen mittels Dünnschichtchromatographie analysiert, ganze drei waren PCP -frei. Eine Aprikosenkiste aus Frankreich enthielt 230 Milligramm PCP pro Kilogramm Holz, der Rest lag zwischen 60 und 200 Milligramm. Rechnet man diese Werte um, so der Grüne Chemiker Dieter Stürmer, so ergibt sich das hunderttausendfache des bisher zulässigen Grenzwerts für Dioxin.
. . . und PCP im menschlichen Fettgewebe
Vom Stuttgarter Großmarkt wandert das Gift dann unbehelligt durch die Auslagen der Obst-, Gemüse und Gemischtwarenhändler - und, weil gut haftbar, auf den Tisch des Verbrauchers. Für die Anreicherung der Penta- und Tetrachlorphenole in menschlichen Organen und Fettgewebe sorgt das Gift selbst. Doch auch, wer beim ersten Obst- und Gemüsekauf noch nichts mitbekommen hat, beim zweiten oder dritten Besuch seines Lebensmittelhändlers trägt er/sie es sicher nach haus: Die Kisten werden, so oft es geht, wiederverwendet, im Sommer werden Obstkisten vor dem Verkauf gewässert, dabei bleibt auch PCP am Granny Smith haften.
300.000 Tonnen Obst und Gemüse, schätzt der Großmarkt -Meister, werden jährlich in die BRD importiert. zwei- bis dreitausend Tonnen hinfälliges Kistenmaterial müssen jährlich allein auf dem Stuttgarter Großmarkt entsorgt werden. Verbrennt man sie, werden die Dioxine und Furane erst recht freigesetzt und in den Äther geblasen und kommen als Flugasche wieder herunter. Beim Deponieren findet sich das Gift Jahre oder Jahrzehnte später im Grundwasser.
Allein für Baden-Württemberg fordern die Grünen deshalb 50 Millionen für ein Untersuchungs- und Sanierungsprogramm sowie eine sofortige Änderung der Holzschutzrichtlinien der umweltpolitische Blähstil Töpfers müsse ein Ende haben und ein generelles Herstellungsverbot. Gnade uns Gott, wenn der europäische Binnenmarkt seine Grenzen auflöst, stöhnt der Grüne Landtagsabgeordnete Rezzo Schlauch.
Als Sofortmaßnahme will der Manager des Stuttgarter Großmarkts von den Importeuren eine freiwillige Selbstkontrolle und Stichprobenanalysen einfordern.
Dann gab es Frühstück, es war ja noch zeitig am Morgen. Wieviel Kalb in die üppige Wurstplatte verarbeitet, was schimmelhemmend dem Käse zugefügt oder zur Haltbarkeit der Marmelade beigemengt war, wollte niemand mehr analysieren.
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