: Alte Tante SPD soll Frauenpartei werden
Als allerersten Tagesordnungspunkt sollen die Delegierten des SPD-Parteitags die Quotierung beschließen / Die Parteiführung hat einen Zeitplan aufgestellt, der den Männern möglichst wenig weh tut, dennoch gibt es Einwände, die Männer würden diskriminiert ■ Von Ursel Sieber
Morgen abend hat das Bangen und Zittern, das Zählen und Hochrechnen erstmal ein Ende und die SPD-Frauen werden wissen, ob ihnen bald 40 Prozent des Himmels gehören. Seit der Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel und sein Vize Oskar Lafontaine der Quote ihren Segen erteilt haben, steht wohl fest, daß die Partei mit einer, in der Satzung verankerten Regelung nach Hause geht wird. Fast genau 70 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts hätten Frauen dann eine sehr viel größere Chance, auch das passive Wahlrecht für sich zu beanspruchen.
Ganz siegessicher sind sich die SPD-Frauen jedoch nicht. Schließlich müssen zwei Drittel der 439 stimmberechtigten Delegierten Ja sagen zu einer Veränderung der Satzung. Zwei Drittel: das sind 293 Delegierte, und für den Parteitag sind eben 290 Männer delegiert. Und es ist ein offenes Geheiminis, daß die meisten nicht die Finger heben, weil sie die Quote als notwendige Zusatzmaßnahme für die bürgerliche Gleichstellung betrachten. Sie wissen, daß sie „einen furchtbaren Schaden anrichten“ (Wiecorek-Zeul), wenn sie anders entscheiden. Schließlich werden insbesondere auch die jüngeren Frauen als Wählerinnen für den Wechsel nach der Wende gebraucht. Und das Nein zur Quote würde nicht zuletzt auch die Autorität des SPD-Vorsitzenden in Frage stellen. Vogel hat seinen Genossen zu verstehen gegeben, daß sie mit einem Nein auch ihn selbst brüskieren würden.
Zur Abstimmung steht der Antrag des Parteivorstandes die 40 -Prozent-Quote im Schneckentempo einzuführen: Für die Wahllisten gilt ein Dreistufenmodell gelten (1990: 25 Prozent; 1994: 33Prozent; 1998: 40 Prozent) für Parteiämter sollen ab sofort 33Prozent und ab 1994 40 Prozent erreicht sein. Die AsF-Frauen wollten ursprünglich, daß es auch bei den Mandaten um Jahre schneller geht. Doch die verdienten Genossen sollten nicht so brüskiert werden: 1998 gibt es automatisch Platz für mehr Frauen, weil dann viele der altgedienten Genossen, die jetzt in den Parlamenten sitzen, aus Altersgründen nicht mehr auf die Wahllisten könnten.
Noch 1977 haben sich die AsF-Frauen mit großer Mehrheit gegen die Quotierung ausgesprochen. „Quotenfrauen“ wollten sie nicht sein. Heute ist das bei vielen anders, auch deshalb, weil die grünen Frauen die Quote salonfähig gemacht haben. „Der Versuch, mit dem Appell an unsere Tradition, an unsere ein Jahrhundert alte Programmatik, die Gleichstellung von Mann und Frau auch in den eigenen Reihen aus eigener Kraft durchzusetzen, muß 70 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts als gescheitert angesehen werden“, sagt heute die AsF-Vorsitzende Inge Wettig-Danielmeier.
Im Jahre 1985 hat die AsF dann die 40-Prozent-Quotierung gefordert. Die Erfahrungen bei der Kandiatenkür zur letzten Bundestagswahl gab ihnen schließlich den Rest: Obwohl der Parteirat alle Gliederungen aufforderte, 25Prozent Frauen in den Bundestag zu entsenden, wurden es wieder einmal nur 16 Prozent. Anfang des Jahres übernahm der Parteivorstand das Anliegen der Frauen.
Die Quote beschäftigt seitdem die Partei. Vor allem wird die im Grundgesetz vorhandene Gleichbehandlung (für Männer!) eingeklagt: In diesem Sinne haben sich insbesondere Hermann Bachmeier, ein Hinterbänkler aus der Bonner Fraktion und Friedhelm Farthmann, SPD-Fraktionschef in Nordrhein -Westfalen profiliert. Gegen die Quote ist auch der „Seeheimer Kreis“, wo sich der „rechte“ Parteiflügel um Hermann Rappe, Annemarie Renger und Hans-Jürgen Wischnewski zusammengeschlossen haben („unverantwortlich“, „abenteuerlich“ und „möglicherweise verfassungswidrig“). Änderungsanträge zum Parteitag kommen aus Baden-Württemberg, Rheinhessen und der Pfalz: Sie wollen nur eine „Soll -Vorschrift“ und keine Satzungsänderung. Ihre Zahl gefährdet die Zwei-Drittel-Mehrheit jedoch wohl nicht.
Damit auch an der Spitze die Quote erfüllt wird, wollen die AsF-Frauen die Parteiführung um zwei weitere stellvertretende Parteivorsitzende erweitern. Die Antragskommission hat die Forderung abgeschwächt und will nur einen weiteren Stellvertreter-Posten einführen. Vieles spricht jedoch dafür, daß dieser Vorschlag niedergestimmt wird. Vogel und Lafontaine sind allerdings strikt dagegen. Eine Frau als Vize, neben Rau und Lafontaine, „das ist dann irgendetwas zum Vorzeigen“ - erklärte Vogel in einem Gespräch mit Radio Luxemburg. Und Lafontaine meinte, es möge doch eine Frau gegen ihn oder Rau antreten. Ob sie sich darauf einlassen, wenn es keinen dritten Vize-Posten gibt, wollen die SPD-Frauen vor dem Parteitag am heutigen Montag abend diskutieren.
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