VERFALLSKUNST UND RASSEREINE MODELLE

■ „Die Nazifizierung der Berliner Kunst- und Musikhochschulen“

Nicht um die Entdeckung von Hitlers Tagebüchern sei es hier gegangen, sondern um die des Herrn Bieder, sagt Christine Fischer-Defoy über ihr Buch „Kunst - Macht - Politik. Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin“. Nicht von sensationellen Enthüllungen, sondern vom Alltag der Vorgänger-Institutionen der HdK handelt daher ihre Arbeit, der unter anderem auch die Aufzeichnungen des Herrn Eugen Bieder, dem damaligen Direktor der Akademie für Kirchen- und Schulmusik, zugrundeliegen. Dieser hat während seiner Amtsperiode bis 1945 auf 1291 Tagebuchseiten all die für den faschistischen Alltag einer Akademie wesentlichen Ereignisse aneinandergereiht: Das Spektrum reicht von Gesprächsmitschriften, Betrachtungen zur Militarisierung der Kirchen- und Schulmusikausbildung und tagespolitischen Notizen bis hin zu Eintragungen wie beispielsweise über den Erwerb „einer neuen Elektro-Staubsaugerbohnermaschine 'Columbus‘ zum Preis von 337 RM“.

Der Prozeß der bruchlosen Durchdringung von Politik und Alltag, für den diese Tagebücher symptomatisch sind, setzte nun keineswegs erst 1933 ein. Der Wunsch nach einer reinen, „völkischen“ Kunst, die damit einhergehende Verfemung „entarteter“, „jüdischer“ und „kulturbolschewistischer“ Kunst und Musik war bereits in den zwanziger Jahren laut geworden. Anderenfalls hätte man nicht schon im Vorfeld der Machtergreifung, 1932, so ohne weiteres fünf jüdische Lehrkräfte aus der Musikhochschule entlassen können, „wegen Einsparungen“, wie das damals noch hieß, was ab 1933 dann zum Zwecke der „Reinhaltung der Lehrerschaft“ geschah.

Wie der nationalsozialistische Reinheitswahn in den Kunst und Musikhochschulen um sich griff, ist nicht nur an den zahlreichen Entlassungen der „typischen Vertreter des zersetzenden liberalistisch-marxistisch-jüdischen Ungeistes“, den Lehrkräften, abzulesen. Es sind allein schon die in den Dokumenten versammelten Begriffe und Redewendungen, die von diesem fanatischen Reinheitsdenken zeugen, wenn zum Beispiel 1933 der neue Direktor der Vereinigten Staatsschulen, Professor Kutschmann, befürchtet, „daß der Saustall nicht gründlich ausgemistet wird, wenn es nicht umgehend und schlagartig passiert“. Im Namen der „Säuberung“ und „Reinigung der akademischen Berufe“ fand dann auch am 17.2.1933 der SA-„Sturm“ auf die Kunstschule in der Schöneberger Grunewaldstraße statt, bei dem jüdische Studenten und die Professoren Georg Tappert, Philipp Franck, Curt Lahs und Heinrich Kamps terrorisiert wurden.

Auch bei den Versuchen einer inhaltlichen Bestimmung dessen, was „völkische“ Kunst und Musik zu sein habe, steht im Vordergrund die große Angst vor Verunreinigung: In der Musikhochschule spricht man beispielsweise von „verderblicher Neuheitsmusik“, Arbeiterchöre sind als „Tendenzchöre“ verschrien und den Musikpädagogen Fritz Jöde denunziert man als „Musikschädling“.

Es ist nicht erstaunlich, daß ein derart groteskes begriffliches Instrumentarium nicht ausreicht, um Kriterien für eine neue „völkische Kunst“ an die Hand zu geben. Diese Unklarheit nährte bei vielen Künstlern die Hoffnung, sich mit den neuen Verhältnissen arrangieren zu können, so etwa bei Malern der Neuen Sachlichkeit wie Georg Schrimpf oder bei Vertretern der Neuen Musik wie Paul Hindemith. Bis etwa 1937 dauerte dann auch die streckenweise öffentlich geführte Diskussion darüber an, ob nun die Werke von Heckel, Schmidt -Rotluff, Nolde, Barlach und Kolbe als eine der NS-Bewegung gemäße Kunst in Anspruch genommen werden können oder nicht. Selbst auf den Chefetagen der nationalsozialistischen Kulturpolitik versuchte beispielsweise Goebbels mit seiner Bereitschaft, moderne Kunstformen zu unterstützen, sich von den „Rückwärtsen“ um Rosenberg abzugrenzen. Erst mit der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München 1937, auf der unter anderem auch die Werke der Berliner Hochschulangehörigen Karl Hofer, Ludwig Gries, Oskar Schlemmer, Edwin Scharff und Cesar Klein gezeigt wurden, gelang es, die Kriterien schärfer zu fassen, was eine neue Welle von Entlassungen an den Kunsthochschulen zur Folge hatte.

Nun ist es nicht allein die offizielle kunstpolitische Entwicklung der Berliner Kunst- und Musikhochschulen, die Christine Fischer-Defoy nachgezeichnet hat. Daß der Prozeß der Nazifizierung gerade auch in einer Grauzone stattfand, dort wo die Grenzen sonst klar geschnittener Identitäten verwischen, daß er einzelne Hochschulangehörige mit Widersprüchlichkeiten konfrontierte, die diese wiederum sehr unterschiedlich zu lösen versuchten - diese Beobachtungen vor allem machen die Lektüre des Buches spannend. Ich meine zum Beispiel den Architekturprofessor Heinrich Tessenow, den Lehrer von Albert Speer, der 1933 entlassen wird, weil sich in der Klasse des bürgerlich-konservativen Gestalters eine „kommunistische Zelle“ gebildet habe. Oder auch den Bildhauer Ludwig Gries, der, obwohl als „kulturbolschewistisch“ angeprangert, vorsorglich erklärte, sich „sowohl nach seiner politischen Einstellung als auch nach seiner künstlerischen Leistung nicht ungeeignet zu fühlen, in der heutigen Akademie an der deutschen Kunst mitzuarbeiten“. - Auf der anderen Seite gibt es Studenten an den Berliner Kunsthochschulen, die im Widerstand aktiv sind, so beispielsweise der Bildhauer Kurt Schumacher, der 1942 als Mitglied der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ zum Tode verurteilt und hingerichtet wird. Durch seine Freundschaft mit Schulze-Boysen (der Görings Trauzeuge war), fand er Eingang in das Haus Hermann Görings, der ihn mit der Gestaltung von Türen und einem Sessel in seiner Villa „Karinhall“ beauftragte. Um seine politische Arbeit zu tarnen, schreibt Christine Fischer-Defoy, habe er den Auftrag angenommen, während Göring wiederum ein Kunstverständnis bewies, das zum Teil erheblich von der Kunstauffassung der NS-Kulturpolitik abwich.

Wie sehr sich die Eindrücke und Erinnerungen einzelner Hochschulangehöriger unterscheiden, geht nicht zuletzt aus den Gesprächen hervor, die die Autorin mit Zeitzeugen führte. Da ist zum Beispiel die Bildhauerin Christiane Gerstel-Neubereit, die noch für die Zeit um 1936 bemerkt: „Das Politische spielte überhaupt keine Rolle.“ Während die Malerin Jeane Flieser, die 1935 als „Halbjüdin“ - zusammen mit der später in Auschwitz ermordeten Charlotte Salomon noch gerade zum Studium zugelassen worden war, ganz andere Erfahrungen gemacht hat: Von Kommilitonen aufs übelste diskriminiert und beschimpft, schließlich aus rassischen Gründen zwangsexmatrikuliert, sagt sie von sich und ihren Eltern: „Wir drei haben hier zu Hause in der Ecke gehockt und haben uns nicht mehr gerührt. Ich hätte es nie fertiggebracht, alleine wegzugehen.“

Jeane Flieser hat den Krieg in Berlin überlebt, ebenso wie die Musikstudentin Renate-Maria Gahlbeck, die 1942 mit dem Gesangsstudium an der Musikhochschule begonnen hatte. Vielleicht, weil sie damals kaum über 20 Jahre alt war, scheinen ihre Erinnerungen an den Bombenkrieg eher unbelastet: „Unsere einzige Sorge war, nicht gar zu viel Rauch zu inhalieren, damit unsere Stimmen nicht in Mitleidenschaft gezogen würden.“

Diese Verknüpfung von Methoden der „oral history“ mit den Fragen nach einer „faschistischen Ästhetik“ und dies wiederum verbunden mit dem Studium der bislang unzugänglichen Akten der HdK, sowie mit denen des Berlin Document Centers und anderer Archive - diese Zusammentreffen verschiedener Forschungsansätze zeichnet ein äußerst differenziertes und vielschichtiges Bild dessen, was man den Prozeß der Nazifizierung nennen könnte. Denn der läßt sich eben nicht beschränken auf die Entwicklung einer die Gestalt ästhetisierenden Kunstauffassung. Dieser Prozeß hat sich gerade auch an den unendlich vielen alltäglichen Details im Leben der Institutionen abgespielt: seien es die Essensmarken für die Hochschulkantine, die ab 1935 den „Nicht-Ariern“ vorenthalten wurden, sei es die „Bevorzugung rassereiner Modelle“ auf den Modellmärkten der Kunsthochschulen oder auch die Feiern von Hitlers Geburtstag im Eosandersaal im Schloß Charlottenburg, bei denen den Studierenden aus „Mein Kampf“ vorgelesen wurde.

Beim Senat ist die HdK mit ihrem Vorhaben, die Geschichte ihrer Vorgängerinstitutionen zu erkunden und öffentlich zu machen, auf eine ablehnende Haltung gestoßen. Da es nicht die Aufgabe der Hochschule sei, die eigene Geschichte zu erforschen, könne das Projekt auch nicht subventioniert werden, hieß es lapidar. Dieses skandalöse Desinteresse des Senats scheint mir symptomatisch für die selbstgefällige Behäbigkeit von staatlichen Einrichtungen an sich, die sich gern mit der Aura des Ungeschichtlich-Neutralen umgeben. Die HdK hat mit Christine Fischer-Defoy diesen Bann nicht nur gebrochen, sondern gezeigt, wie aus den öffentlichen Einrichtungen heraus der Nazifizierung unmittelbar entgegengekommen wurde.

Insa Eschebach

Christine Fischer-Defoy, Kunst, Macht, Politik. Die Nazifizerung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin. Berlin, Elefanten Press 1988. 36,- DM