MARCIA PALLY

 ■  Über die Nummer Zwei und andere Nummern

Die New Yorker Journalistin Marcia Pally ist in den USA als radikale Feministin bekannt und gleichzeitig als Chef -Filmkritikerin von „Penthouse“. Sie schreibt unter anderem für „The Village Voice“, „The New York Times“, „The Nation“. Und einmal im Monat in der taz, was Europäer über den Großen Bruder wissen sollten.

Ich will mal versuchen, ganz im Ernst über Dan Quayle zu schreiben, den sich George Bush als Nummer Zwei auserkoren hat. Ich will ihn nicht runtermachen, bloß weil meine Freunde aus dem Mittleren Westen, wo Quayle herkommt, schon bevor seine Vietnam-Drückebergerei herauskam, sagten, daß der Junge eine politische Null sei und auf keinem Gebiet kompetent und ein kriegsliebendes Kind reicher Leute. Ich wolle doch wohl nicht, daß einer, der so gerne mit dem Finger am Abzug spielt, am Ende mit delikaten internationalen Angelegenheiten zu tun kriegt oder an den roten Knopf darf. Jeder vierte amerikanische Präsident sei schließlich im Amt gestorben, rechnen meine historisch gesinnten Freunde mir vor. Aber wer sagt denn, daß ich will?

Ich werde hier nicht behaupten, daß Quayle geistig minderbemittelt ist, bloß weil Quayles Professor von der Depauw Universität dem „Wall Street Journal“ erzählt hat, daß der Junge einer der dümmsten Studenten war, die er je gehabt hat. Und ich werde ganz gewiß nicht Quayles verbürgte Unqualifiziertheit - „und so einen wählt sich die Nummer eins in ihrer ersten präsidialen Großtat als Laufburschen!“

-zum Anlaß nehmen, Bushs eigene Qualifikation in Zweifel zu ziehen. Vielmehr möchte ich Quayle im Kontext von Amerikas politischen Vorgeschichten betrachten.

So spielte Quayle zum Beispiel an einem Wochenende in Florida „Golf“ mit Paula Parkinson. Es war wahrscheinlich nicht das einzige Wochenende, an dem er mit ihr Sport trieb.

So hat Quayle seinerzeit von seinem guten Namen Gebrauch gemacht, um sich vor dem Vietnamkrieg zu drücken. Er ging stattdessen zur Nationalgarde von Indiana, nicht gerade eine Kampfeinheit.

Das klingt ein bißchen wie die Geschichte von Gary Hart, der wegen seiner Besuche bei Donna Rice aus dem demokratischen Rennen ausscheiden mußte oder wie die von Pat Robertson, der alle Unterstützung beim Wahlkampf verlor, weil sein Vater ihm einen Schreibtischjob verschafft hatte, damit er nicht nach Korea mußte. Oder wie die von Douglas Ginsburg, der seinen Posten als Oberster Richter verlor, weil er vor 20 Jahren einen Joint geraucht hat.

Nun hatte jeder von uns wohl schon mal Affären, die wir natürlich bedauern, und jeder unter 50 hat hin und wieder mal gekifft, und sei es nur aus Neugierde. Und jeder vernünftige Mensch versuchte damals, Vietnam zu entgehen, einem Krieg übrigens, in dem die kämpfenden Jungs bekannt dafür waren, daß sie hin und wieder mal gekifft haben.

Damit liegt die Kardinalregel der amerikanischen Politik offen zutage: Wir - das Volk - würden niemals für Leute stimmen, die tun, was wir alle tun.

Richter Gerald Molnar, New York, mußte beinahe seinen Dienst quittieren, weil er von einer Angeklagten oralen Sex erwzingen wollte. Molnar hatte der Frau, die dem Gericht 10 Dollar Strafe zahlen sollte, weil sie ihren Hund nicht an der Leine geführt hatte, 25 Dollar für oralen Sex angeboten. Als die Frau ablehnte und den Zehndollar-Schein nach ihm warf, drohte er, ihren Hund umzubringen, falls sie ihn anzeigen würde. Sie hat ihn trotzdem angezeigt.

Molnar trat einen Tag, bevor die Kommission den Fall verhandelte, zurück: Er scheint die Möglichkeit, daß nicht sein Ansinnen, sondern der Preis das Problem war, nicht in Erwägung gezogen zu haben. Von George Bernhard Shaw ist folgende Anekdote überliefert. Als er Lady Astor fragte, ob sie es für eine Million britische Pfund mit ihm treiben würde, sagte sie ja. Aber als er sein Angebot auf zehn Pfund änderte, war sie empört: „Wofür halten Sie mich?“ Damit war für Shaw der Fall geregelt, er antwortete: „Das ist nicht die Frage, der Preis ist die Frage“. Ich bin sicher, Shaw kehrte befriedigt nach Hause zurück.

Das sehr erfolgreiche Magazin Premiere scheint sich Sorgen zu machen, daß der Reiz des Neuen einer Zeitschrift für Neue Filme sich verbraucht und die Auflage sinkt. Jetzt sind sie auf den alten Marketing-Trick verfallen und bieten SEX ... und Filme.

Wenn man bedenkt, daß in den meisten Artikeln der neuen Ausgabe ein dramatischer Rückgang an Sexszenen beklagt wird, ist das Titelfoto mit der fabelhaften Michelle Pfeiffer eine echte Ersatzhandlung. Ganze Kritikerhorden schreiben diesen Rückgang der Aids-Epidemie zu, und tatsächlich sandte die Directors Guild ihren Mitgliedern einen Verhaltenskodex über AIDS. „Freie Liebe nur darstellen, wenn es für die Story wichtig ist“, steht darin, und: „Abstinenz gutheißen und respektieren“, und: „Die Folgen von ungeschütztem Sex aufzeigen“.

Das führte zu viel Hickhack zwischen Regisseuren und Produzenten über die Frage, ob die Filme nun im Sinne dieses New Conservatism beschnitten werden sollten, und schließlich zur Gegenposition des Drehbuchautors Leslie Dixon (Outrageous Fortune): „Leute, Sex ist für die Achtziger, was Geld für die Dreißiger war. Damals zeigten die Filme reiche Stars, rzyhampagener tranken. Heute wollen die Zuschauer im Kino sexuelle Fantasien sehen, die sie sich im wirklichen Leben nicht mehr zu praktizieren trauen.“

Schön, daß noch jemand kapiert, wofür Filme und Fantasien gut sind. „Wuthering Heights“ lesen wir nicht, um uns selber ein tragisches Ende zu bereiten, „Krieg und Frieden“ lesen wir nicht, um gegen Napoleon zu kämpfen. Und „Poltergeist“ haben wir nicht geguckt, um uns marodierende Geister ins Haus zu holen. Wir lesen und sehen Filme, um in der Behaglichkeit unser Sitze Begierden, Verluste und Ängste auszuleben, die uns im Leben nur panisch machen.

Zumindest sollte klar sein, daß es was anderes ist, ob man Sexszenen ganz aus Filmen herausnimmt oder ob man Kondome mit hineinnimmt. Im einen Fall kriegen die Leute überhaupt keinen Sex, im andern kriegen sie welchen, und zwar safen. Ein entscheidender Unterschied, wenn Sie mich fragen. Man kann natürlich versuchen, den Leuten einzureden, daß der homo erectus keinen Sex treibt.

PS: Gregory James, der in der „New York Times“ über das New Yorker Leben schrieb, hat gekündigt, weil er sich das Leben in New York nicht mehr leisten konnte.

Aus dem Amerikanischen von chp & thc.