FES - IMAGINÄR UND REAL

Was kann man über Fes schreiben, was noch nicht gesagt wurde? Fes ertrinkt in einem Strom von Parolen, Worten. Eine Masse von Geschriebenem baut sich vor dir auf und hindert dich daran, deine eigenen Worte zu finden. Wurde wirklich alles über Fes gesagt? Zerstört man so die Stadt. Hat es aufgehört zu existieren und zu verführen? Um nur noch Diskurs zu sein? Ein Diskurs, der umhüllt, seine Nacktheit verdeckt, deine Spontaneität erstickt und die warme und direkte Beziehung zu der Stadt, die Intimität, die du suchst, trübt.

All diese Fragen schossen mir durch den Kopf, als ich durch die Straßen der alten Medina zog. Schmale Straßen, die scheinbar nirgendwo hinführen. Geschickt versteckt die Stadt ihre Geheimnisse und Schönheit vor dem fremden Besucher. Dieser nimmt nur den ranzigen Geruch, den die Mauern ausströmen, wahr. Und selbst, wenn ihn hier und dort ein Körnchen Schönheit in seinen Bann zieht, die Stadt offenbart sich ihm nicht. Fes verkriecht sich in sich selbst wie eine Schnecke. Eine Stadt, die nach innen gerichtet ist ...

In der Medina ergreift mich das imaginäre Fes. Der Rhythmus, der durch die Rufe zum Gebet bestimmt wird , lenkt auch die Geschäftigkeit der Stadt. Es gelingt mir nicht, Bilder, die tief in mir verankert sind, abzuschütteln. Eine neue Erfahrung. Mit den anderen marokkanischen Städten fällt es leicht, Nähe herzustellen und die Stadt zu beobachten. In Fes spüre ich, daß mich die Stadt im Griff hat und mich lenkt. Obwohl ich darauf achte, mich nicht lenken zu lassen. Es gibt hier Stimmen, die zu mir sprechen, die meinen Schritt, meinen Blick lenken. Eine Stimme (ich erkenne sie sehr gut wieder) ist die Stimme meines Großvaters, ein Priester vom Lande, der die Stadt in meinen Augen sehr stark mystifizierte. Fes war für ihn die Quelle, aus der die anderen Städte entsprangen. War sie nicht Ursprung der nationalen Bewegung, Ursprung der Religionswissenschaft und der Kunst?

Wenn ich von Fes spreche, denke ich vor allem an die Medina: die Vororte und Vorstädte, die man dahinter errichtet hat, könnten irgendwelche Namen tragen ... Casa oder Settat ... Sie haben nichts mit Fes gemein. Mit Fes, das sich seine Lebensart aus dem Handel, der Wissenschaft und der Kunst schuf. Dieses Fes geht langsam unter. Es ist nur noch ein Schatten, ein Reflex der Vergangenheit. Selbst die merkwürdigen Gesichter hier und dort, die an diese Epoche errinnern, scheinen Traumfiguren zu gehören ... Von der Zeit entstellte Gesichter aus einer vergangenen Epoche ... Heute durchdringt ein anderes Leben, eine andere Epoche die Stadt und zerfrißt sie wie ein Wurm von innen. Das authentische Fes schrumpft. Und der Bastard Fes macht sich breit. Die Bewohner von Fes sind eine schwindende Art. Sie, die die Ausländer aus Andalusien und dem Irak, die sich hier niederlassen, empfangen, sterben mehr und mehr aus. Und mit ihnen die Raffinesse, das Besondere, der Sinn für Kunst ...

Die Stadt heute zehrt von ihrer Vergangenheit. Selbst die Künstler machen nichts anderes, als die Werke der Vergangenheit ohne Leidenschaft zu imitieren. Und die Bewohner von Fes schenken der Schönheit, die sie umgibt, keinerlei Beachtung. Im Gegenteil, sie verändern, entstellen sie. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß ein angeschlagenes Mosaik durch Zement ersetzt wird. Als ob diese Epoche nur die Farbe von Zement kennen würde. Fes heute ist eine Kulisse, vergriffen, dazu gezwungen, konsumiert zu werden. Das imaginäre Fes vergeht, das reale Fes schlägt sich mit seinen Problemen herum ... menschliche Probleme, das Problem des täglichen Brots ... Aus diesem Grund hatte der Appell der UNESCO zum Schutz der Stadt kein Echo hinter ihren Mauern. Heute sind es die Bewohner, die „geschützt“ werden wollen. Die Misere erfaßt alles, die Kinder werden zu betrügerischen Führern, die Jungen fliegende Händler und die Alten Bettler. Fes ist sich selbst überlassen, es kämpft allein gegen die Zeit. Wer wird gewinnen? Fes oder die Zeit?

Fatna Abbassi