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Ein Auto-Unfall, der ein Mord war

Das Mainzer Schwurgericht verurteilte in der vergangenen Woche einen türkischen Mann zu lebenslanger Haftstrafe, weil er seine Frau und seine beiden Kinder ermordet hat / Bereits vor der Tat wurde die Frau isoliert und schwer mißhandelt und flüchtete mehrfach ins Frauenhaus  ■  Aus Mainz Konrad Götz

Yahya Tasdemir läßt sich, obwohl er seit 16 Jahren in der Bundesrepublik lebt, vor dem Mainzer Schwurgericht jedes Wort übersetzen. Bei der Urteilsverkündung: lebenslänglich bleibt er - wie während des gesamten Prozesses - starr, aber das Gesicht des 28jährigen ist kalkweiß. Für die Zuhörer, aber auch für seinen Anwalt ist der in sich gekehrte Mann rätselhaft geblieben; erhellt wurde nur die Tat.

Nach Überzeugung des Gerichts hat er seine Frau im Herbst letzten Jahres nach einer Auseinandersetzung im Auto erwürgt und danach den Wagen mit Benzin angesteckt. Dabei starben auch seine sechsjährige Tochter und der dreijährige Sohn. Der Bauernsohn aus der Nordtürkei bestreitet dies. Das Feuer sei nach einem Unfall ausgebrochen - er selbst habe versucht, die Familie aus den Flammen zu retten. Doch Zeugen und Sachverständige stehen gegen ihn.

Eine Radfahrerin hatte zur Tatzeit laute Hilferufe gehört, zunächst Angst bekommen, dann jedoch von weitem beobachtet, wie ein Mann, den sie als den Angeklagten wiedererkannte, sein Auto anzündete. Als sie Hilfe holte, war es zu spät. Die Sachverständigengutachten bewiesen, daß Frau Tasdemir bereits vor dem Brand tot war und daß die Kinder Benzinspuren am Körper hatten. Der Angeklagte habe seine Kinder ermordet, weil er sie als Zeugen beseitigen wollte, sagt das Gericht. Der Tod der Frau wird als Körperverletzung mit Todesfolge gewertet, weil Vorsatz nicht nachzuweisen sei.

Tasdemir hat seine Mutter mit fünf Jahren verloren und wurde von einem überaus strengen Vater erzogen. Die psychologische Gutachterin bezeichnet ihn als unfähig, sich in andere Menschen einzufühlen und auf sie einzugehen. Aber er sei voll schuldfähig und normal intelligent.

In der Bundesrepublik blieb er einsam und zog sich, so die Gutachterin, immer wieder enttäuscht von türkischen und deutschen Bekannten zurück. Anfang der achtziger Jahre betätigt er sich vorübergehend politisch, mal bei den grauen Wölfen, mal bei einer kommunistischen Gruppe. Die Ehe mit seiner Frau wird in der Türkei zwischen den Eltern ausgehandelt. Eine liebevolle Beziehung ist nie entstanden.

Nachbarn des Paares aus Kaiserslautern bezeugen, daß Tasdemir seine Frau schrecklich mißhandelt habe. Anita Graf, Mitarbeiterin des Frauenhauses Kaiserslautern, berichtet, daß Hayriye Tasdemir mehrmals aufgenommen wurde: „Das erste Mal kam Frau Tasdemir mit blutig aufgeplatzten Fußsohlen zu uns. Ihr Mann hatte sie mit einem Plastikseil geschlagen, weil sie sich geweigert hatte, ihn zur Sitzung einer kommunistischen Gruppe zu begleiten.“ Hayriye Tasdemir sei eine stille, etwas unselbständige Frau gewesen. „Fast wie ein Kind.“ Selbst von ihrem Sohn habe sie sich schon mißhandeln lassen. Als dieser gefragt wurde, warum er das tue, habe er geantwortet: „Papa hat gesagt, Männer dürfen das.“

Hayriye Tasdemir ist ebenso wie der Angeklagte in Caycuma an der Schwarzmeerküste aufgewachsen. Da sie das schönste Mädchen im Dorf war, wunderten sich die Leute, als Hayriye mit dem schweigsamen Einzelgänger Yahya verheiratet werden sollte. Aber bei den Eltern der Braut galt dieser als gute Partie, weil er einen Arbeitsplatz in der BRD hatte. In der Hoffnung, sich und ihre Tochter aus der Armut zu befreien, stifteten sie eine Zwangsehe. Hayriye lernte ihren Mann erst in der Bundesrepublik richtig kennen. Er schlug sie nicht nur, sondern verschleppte sie auch mehrmals und setzte sie in der Türkei aus. Hayriye flüchtete zu ihren Eltern. Doch auch dort geriet sie in Isolation. Eine Frau, die von ihrem Mann ausgesetzt wird, gilt als schuldig und die Eltern müssen sich für sie schämen. Also wurde Hayriye zu ihrem Mann zurückgeschickt. In Kaiserslautern hatte sie zwar Freunde, aber der Mann verhinderte jeden Kontakt.

Frau Tasdemir wollte sich trennen, aber sie hatte die Kinder, keinen Beruf und war nicht zur Selbständigkeit erzogen. Kurz vor ihrem Tod hatte sie alles organisiert, um ihren Mann zu verlassen. Im letzten Momant verwarf sie ihre Vorhaben.

Was dann am 20. September 1987 wirklich geschah, weiß niemand genau. Der Angeklagte berichtet, er sei mit seiner Familie auf dem Weg nach Dortmund zu einem Gebetsheiler gewesen. Auf der Fahrt habe seine Frau ihm mitgeteilt, daß ihre Menstruation begonnen habe. Der Besuch bei dem Gesundbeter kam nicht mehr in Frage, da Hayriye nun „unrein“ war.

Vielleicht ist der Angeklagte, so Anwalt Henkel in seinem Plädoyer, angesichts dieser Tatsache so in Wut geraten, daß er seine Frau erwürgte und danach in Panik seine ganze Familie auslöschte. Wegen der erdrückenden Beweislage versuchte der Anwalt, ein Totschlagurteil herauszuholen. Tasdemir habe seine Familie im Zustand einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung, also im Affekt, getötet. Aber sein Mandant durchkreuzte diese Strategie und blieb bei seiner Version, es habe sich um einen Unfall gehandelt.

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