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Kochen mit Plan

■ Die Kochkiste: Vom Blockadebrecher zum Atommeiler

Im Zuge der Ökowelle schwappt die alte Kochkiste wieder in deutsche Küchen. Das Kochgerät mit modernem Styling in Form eines Atommeilers ist eine ständige Mahnung an Energieverschwendung. Wahrhaft begeistert schildert unsere Leserin Marie-Luise Posener ihre Erlebnisse und Erfolge mit ihrem „kleinen Atommeiler“, den sie im Allgäu kennenlernte und von dort importiert hat. Stundenlanges Stehen neben dem Herd ist überflüssig, denn die Speisen werden nur angekocht und danach unter die Haube der styroporisierten Kochmaschine gestellt. Tomaten und Möhren können gleichzeitig im Topf landen, in der Kochkiste nehmen sie sich ihre individuelle Garzeit. „Das Gemüse behält seine Vitamine, die Energie verschießt nicht, sondern widmet sich ganz und gar dem Wohl der Speise. Es zerkocht nichts, brennt nichts an trotz ein bis zehnstündigen Verweilens im Apparat.“ Allerdings, da schränkt Frau Posener ihr Lob ein, ist die Kochkiste nur etwas für planende Menschen, die morgens wissen, was abends auf den Tisch soll. Über die kulinarischen Genüsse hinausgehend hat das Kochgerät noch eine andere Funktion, ist ein idealer Platz zum Warmhalten und daher zur Nervenmedizin geworden. Sie schreibt: „Wer kennt nicht Freunde, Ehemänner, Schwiegerväter, die grundsätzlich zu spät zum Essen erscheinen.“

Die Idee der Kochkiste wurde keineswegs aus energiesparender Tugend oder gar geschlechtsharmonisierenden Tendenzen geboren, sondern ist eine Erfindung der Trümmerfrauen, die damit einen entscheidenden Beitrag zum Überleben leisteten. Die überlebensnotwendige Kalorienzufuhr war mit der erfolgreichen Jagd auf Lebensmittel nicht gesichert, denn Mahlzeiten drohten am Mangel von Brennholz und Kohle oder an Stromsperren zu scheitern.

In Überlieferungen aus der Nachkriegszeit steht weniger der praktische Nutzen des Kochgeräts im Vordergrund als dessen politische Ausschlachtung. Kurt Riess schafft es gar, in seinem Roman „Berlin, Berlin 1945-1953“ aus der Kochkiste einen Blockadebrecher zu machen.

Seiner Heldin, einer beispielhaften Trümmerfrau, die von Stromsperren während der Blockadezeit geprägt wird, legt er folgendes in den Mund: „Ohne Kochkiste hätten uns die Russen vielleicht schon mürbe gemacht. Die Kochkiste ist der beste Blockadebrecher.“

Petra Schrott

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