: Eine zarte Mutter Courage
■ In Claude Chabrols Film „Une affaire de femmes“ geht alles Schlechte vom Mann aus Italienische Gerichte müssen sich mit dem Streifen beschäftigen
Am 31.7.1943 wird eine der letzten Französinnen guillotoniert. Das Regime von Vichy hat ein Exempel statuiert. Die Verurteilte half Frauen bei Abtreibungen, sie hat Zimmer an Prostituierte vermietet. Das Regime, das - je mehr es seinem Ende entgegengeht, desto mehr auf seine Version von Sitte und Anstand, Familie und Vaterland achtet
-fällte ein Todesurteil. Claude Chabrol hat die Geschichte verfilmt. Isabelle Huppert spielt Marie, die guillotinierte. Zur Zeit prüfen die italienischen Gerichte, ob nicht auch Chabrols Film („Une affaire de femmes“) blasphemisch ist. Es geht dabei um den Augenblick als Marie, zur Richtstätte geführt, betet: „Ave Maria, verdammt sei dein Leib, der nur Scheiße enthält...“ Zu den Anzeigen gegen seinen Film befragt, meinte Chabrol über die italienische Mode, sich so engagiert für die Sache des Allmächtigen einzusetzen, als könne der sich nicht um seine Angelegenheiten selbst kümmern: „Sicher sind das blasphemische Worte. Aber man versteht doch, daß Marie in diesem Augenblick so redet, ja so reden muß. Sie haben das doch verstanden?“ Er blickt mit breitem Grinsen über seine Brille ins Publikum. Das hält einen Moment inne, dann großer Applaus. Wie befreit: Blasphemie ist erlaubt. Chabrol hat einen Frauenfilm gedreht. Ich hatte noch nie im Kino so sehr das Gefühl, daß alles schlechte, alles Dumme und alle Gemeinheit vom Mann ausgeht. Es ist nicht nur der Schluß - Maries Mann verrät sie aus Eifersucht an die Polizei -, nein, jedes Mal, wenn ein Mann auftritt, nehmen die Dinge eine schlechte Wendung. Im besten Fall tun die Kerle gar nichts. Die Frauen organisieren das Leben, sorgen für ein wenig Freude im besetzten Frankreich. Sie verstehen das beste aus den schlechtesten Situationen zu machen. Isabelle Huppert ist blaß wie eh und je, dabei stark und voller Lebensfreude, mit einem Willen, der sich durchzusetzen versteht, und das, ohne Wunden zu schlagen. Ihr Mann, der den ganzen Film über keinen Handschlag tat für sie, die Kinder oder auch nur für sich, als er sich endlich erhebt und etwas tut, da ist das sofort eine Tat mit tödlichem Ausgang. Ringsum der Krieg, Deportationen, Vernichtung, mitten drin eine zarte Mutter Courage: „Une affaire de femmes“ von Claude Chabrol.
Arno Widmann
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