: Panzerwagen im Villenviertel
Landesverteidigung '88, das Herbstmanöver des Territorial-Heers der Bundeswehr, hat begonnen / Erstmals zivil-militärische Zusammenarbeit für Notstandsübung / Bundeswehreinheiten üben Aufstandsbekämpfung ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier
Erstmals seit der Verabschiedung der Notstandsgesetze vor fast 20 Jahren wird im Rahmen des Bundeswehrmanövers „Landesverteidigung '88“ die zivil-militärische Zusammenarbeit im Falle des ausgerufenen Notstands geübt. Gleichzeitig beginnen die Nato-Manöver „Reforger“ der US -Streitkräfte und am Donnerstag die „Alliance“ der Franzosen. Das „Kriegsspiel des Territorial-Heers der Bundeswehr“, so Generalmajor Schill, läuft ab:
Eine politische Krise weitet sich aus, die Bundeswehr reagiert mit Mobilmachung, Reservisten werden eingezogen, Einsatzräume werden aufgeteilt. Die Bundesregierung erklärt den Spannungsfall. Die Bevölkerung an den dünnbesiedelten Grenzen zur DDR und Tschechoslowakei wird evakuiert und in den Schwarzwald geschafft, die Bundesbahn transportiert Mannschaften und militärisches Material an die Front. Der Osten, wer denn sonst, beginnt auf breiter Linie mit dem Angriff. Seit heute wird zurückgeschossen. Der Papiertiger sei aus seinem Schlaf erwacht, meint Generalmajor Frank Schill, der Kommandeur des Territorial-Heers Süd. 66.000 Soldaten und 30 KVAE-Beobachter nehmen an dem diesjährigen Herbstmanöver „Landesverteidigung 88“ teil, zwölf Inspektoren kommen aus Staaten des Warschauer Pakts.
Doch weiter im „Kriegsspiel des Territorial-Heers“: „Orange“, also der Osten, bricht bei Fulda durch die Verteidigungslinien der Nato, die Franzosen beeilen sich, das Loch zu stopfen. Dem Feind gelingt eine Luftlandung zwischen Heidelberg und Frankfurt, also nichts wie hin mit Mannschaften und Gerät.
Doch jetzt, so sieht das militärische Planspiel vor, beginnt es im eigenen Volk zu rumoren. Ost-Sympathisanten, Saboteure gar im liberalen Baden-Württemberg hat das Territorial-Heer Süd ausgemacht. Sie behindern Einsätze und Bewegungen alliierter Truppen und der Bundeswehr, „Sabotageakte gegen Nato-Flughäfen“ wie Frankfurt oder Ramstein, Angriffe auf „zivile Objekte militärischer Bedeutung“ geschehen aus den Reihen der eigenen Bevölkerung. Höchste Zeit, so die Manöverplanungen der Bundeswehr, jetzt spezielle Truppen des Territorial-Heers, den Bundesgrenzschutz, Zivilschutz, ABC Fortsetzung Seite 2
Abwehr, Rotes Kreuz und die Polizei einzusetzen. Zusammen mit zivilen Stellen, so die militärischen Einsatzleiter, gelte es jetzt, Ost-Sympathisanten auszuschalten, die Regierungsgewalt und -fähigkeit müsse gesichert, Ordnung und Sicherheit im Lande aufrechterhalten werden. Naürlich bleibt die Nato auf der ganzen Linie Sieger. Am Mittwoch soll die Schlacht im Sandkasten entschieden sein, das Territorial -Heer hat seine „übergreifenden Aufgaben“, die „Wahrung nationaler Interessen“, erledigt. „Die Verwundeten werden abtransportiert“, 40.000 Betten sind bereitgestellt, zwei Dekontaminations-Bataillone beginnen mit der Entseuchung.
„Zivilmilitärische Zusammenarbeit“, kritisiert Staatssekretär Robert Ruder aus dem Stuttgarter Innenministerium da den Generalmajor des Territorialheers ein wenig - so ganz neu sei das ja nicht. Zur Zeit der Pershing-Stationierung, so offenbahrt Ruder, habe die baden -württembergische Polizei an den jeweiligen Stützpunkten militärische Funktionen übernommen: „Wir haben unseren Part gespielt„(Aha! d.S.). Ruder fordert deshalb auch einen größeren verfassungspolitischen Spielraum für die Länder. Und auch Generalmajor Frank Schill bestätigt stolz, man „kämpfe ja schon drei Jahre zusammen“, viele Dinge, die dann von anderen Bundesländern übernommen wurden, seien hier „ausgebrütet worden“.
Auch die KVAE-Beobachter aus den Warschauer-Pakt-Staaten, erzählt Generalmajor Schill, seien „überrascht gewesen, daß das hier kein Türke ist“, vor allem der Tscheche habe ganz große Augen gemacht darüber, wie schwach die militärischen Kräfte seines Landes eingeschätzt würden. Der Generalmajor wünscht sich für die kommenden Tage eine freundliche Unterstützung durch die Medien. Vor einem Einfamilienhaus in meinem Stuttgarter Wohnviertel ist seit Samstag ein Schützenpanzer in Stellung gebracht.
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