: Skinheads stören das DDR-Weltbild
■ Vorsichtige Auseinandersetzung über Skins und neonazistische Tendenzen in der DDR / Zwischen Hardliner- und differenzierter Betrachtung / DDR-Schriftsteller Hermlin beklagt „Selbstzufriedenheit“ / Die Frage nach der Wirkung des antifaschistischen Unterrichtes
Vergangenen Sonntag feierte die DDR den traditionellen „Kampftag gegen Faschismus und imperialistischen Krieg“, zur Massenkundgebung versammelten sich allein auf dem Ost -Berliner Bebelplatz rund 200.000 Menschen, um der Opfer des Faschismus zu gedenken. Die Losung des Tages lautete: „Das Vermächtnis der revolutionären Kämpfer gegen Faschismus und Krieg lebt in unseren Taten für Sozialismus und Frieden“. Doch hinter der feierlichen Oberfläche, auch wenn davon während des „Kampftages“ nicht die Rede war, gärt es. Nicht zuletzt war es der DDR-Schriftsteller Stephan Hermlin, der bei aller Pflege der antifaschistischen Tradition in der DDR auf wachsende neonazistische und antisemitische Tendenzen verwies und den warnenden Satz sprach: „Natürlich ist für jeden Staat die Selbstzufriedenheit ein entscheidender Fehler“.
Während qua Verfassung der Antifaschismus zur Staatsdoktrin erhoben wurde, können selbst DDR-Medien das höchst unbequeme Phänomen wachsender neonazistischer Umtriebe nicht mehr verschweigen. Seit dem Skin-Überfall auf ein Punk-Konzert in der Ost-Berliner Zionskirche im letzten Jahr häufen sich Berichte über Skin-Auftritte, nicht nur in Ost-Berlin, sondern auch in Kottbus, Halle, Jena, Leipzig, Weimar, in der früheren KZ-Stadt Oranienburg und in Dresden. Fast jede Woche sind mittlerweile Berichte über Skin-Prozesse nachzulesen, die von DDR-Gerichten meist mit harten, mehrjährigen Haftstrafen geahndet werden.
Die Frage, weshalb Jugendliche trotz antifaschistischer Erziehung „Sieg Heil“ brüllen und sich rechtsradikale oder faschistische Gallionsfiguren zum Vorbild machen (siehe Interview), wird in der DDR bislang nur sehr vorsichtig gestellt. Offene Diskussionen gibt es nicht. Vorrangig wird immer noch in die ideologische Mottenkiste gegriffen und der Westeinfluß allein verantwortlich gemacht (siehe Dokumentation).
Lediglich die CDU-Zeitung 'Neue Zeit‘ wies zaghaft auf innergesellschaftliche Ursachen und Widersprüche in einer Gerichtsreportage hin: „Alle fünf (der angeklagten Skins, d. Red.) hatten in der Schule Gelegenheit, sich über die Zusammenhänge des Faschismus zu bilden... Der Vater des Angeklagten Rene K. war während der Nazizeit selbst Repressionen ausgesetzt gewesen, als er Juden half zu überleben... Warum war diesen Jugendlichen das Wissen, das ihnen die Schule, wir alle boten, nicht glaubwürdig? Die beisitzende Richterin stellte die Frage“.
In Kirchenkreisen dagegen versucht man, Glasnost zu diesem Thema herzustellen und nach Ursachen zu forschen. Den Geschichtsunterricht thematisiert insbesondere der Ost -Berliner Stadtjugendpfarrer Hülsemann, der als Prozeßbeobachter die Verfahren gegen die Skins verfolgte, die die Zionskirche überfielen. „Die antifaschistische Erziehung in der Schule korrespondierte meiner Meinung nach zu wenig mit einem antifaschistischen Bewußtsein in den Familien.“ Vielleicht sei es nicht gelungen, tatsächliches „Mitgefühl für die Opfer“ zu wecken. Gleichzeitig machte er deutlich, daß der gesellschaftlich geächtete Neonazismus auch eine Möglichkeit von Jugendlichen sei, „die Tabus der Älteren zu brechen“. Hülsemann warnt allerdings davor, Skins vorschnell als Neonazis abzustempeln. Offensichtlich hätten sie im Gegensatz zu westlichen Skins kein politisches Programm, sondern nähmen „diffus Gefühle und Vokabular auf, um sich damit zu identifizieren“. Deshalb sei es angebrachter, von „faschistoidem Verhalten“ zu sprechen. Das Allerwichtigste sei aber, „über diese Fragen und Probleme ein ganz offenes Gespräch in unserer Gesellschaft zu führen“.
Karla Trux
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