: Tanz den Kartoffelbrei
■ „Hairspray“ von John Waters mit Divine ist ein bonbonfarbener Sixties-Teeny-Tanz und Turmfrisurenfilm, in dem die Schwarzen und die Fetten vereint für ihre Rechte kämpfen
Tracy Turnblad ist „big, blonde and beautiful“ und sie tanzt „the Mashed Potatoe“,„the Cockroach“ und „the Bug“ - bei dem sich alle kratzen als hätten sie Flöhe - so hinreißend wie keine andere im Baltimore von 1962. Und da kann ihre reiche, ehrgeizige und fiese Konkurrentin Velma von Tussle noch so viel intrigieren und über ihre Leibesfülle lästern: In der Fernsehshow wird Tracy der Teenystar der Stadt, sie spannt Velma den schmalzigsten Halbstarken aus, wird „Miss Auto Show“ und erkämpft nebenbei noch für die unterdrückten farbigen Teenies das Recht, sich auch in der „Corny Collins Show“ die Füße wundtanzen zu dürfen.
Für alle Übergewichtigen muß „Hairspray“ reine Medizin sein, mit der dollen dicken Tracy als Heldin dieser hemmungslos blödsinnigen Geschichte. Ricky Lake spielt sie als einen von diesen immer strahlenden Wonneproppen, die man nur in den Staaten treffen kann. Aber so richtig unwiderstehlich ist Tracy erst in den gewichtigen Szenen zusammen mit ihrer Mamma. Divine spielt in seinem letzten Film eine Doppelrolle: als rassistischer Chef des Senders kommt er aus dem Geifern gar nicht mehr heraus, aber als Edna Turnblad, eine gigantische Glucke, die unermüdlich über ihr Küken wacht, bildet er in einigen der brutalsten Kleider der Filmgeschichte den ruhenden Schwerpunkt des Films.
Die Nebenrollen sind fast durchgängig mit schrägen Persönlichkeiten der Popkultur besetzt: Die oberfiesen Eltern von Velma von Tussle, die sogar eine Bombe in die Turmfrisur stecken, spielen Sonny Bono und Debbie Harry. Pia Zadora und Ric Ocasek sind die Beatniks, die den Teenies erzählen, wohin es weitergeht in den Sixties: Nur wenn sie ihre toupierten Haare mit dem Bügeleisen glattplätten, bleiben sie in und cool. Waters selbst tritt auf als psychotischer Psychiater.
John Waters, der Maestro des schlechten Geschmacks, hat mit „Hairspray“ einen auf den ersten
Blick ganz adretten und harmlosen Film für die ganze Familie gemacht, aber manchmal reitet ihn doch wieder der Teufel: In seiner Idee von einer Liebesszene huscht eine dicke Ratte durch die Pfütze, in der sich romantisch der Vollmond spiegelt, und ein Mitesser wird natürlich in einer ekligen Nahaufnahme ausgedrückt. Wenn die schwarzen kids nicht zur Kindertanzparty ins Fersehstudio dürfen und eine der Gören zum „I have a dream“ anhebt, parodiert Waters zugleich die Filme mit sozialkritischer Botschaft und die Teenytanzstreifen. Aber er feiert auch mit seiner ungebremsten Liebe zum Kitsch die triviale Popkultur der sechziger Jahre: seine erste Großproduktion ist eine Ausstattungsorgie mit einer Unzahl von schrillen und absurden Frisuren, einem konsequent in bonbonfarben gehaltenen Bal
timore und mehr als zwanzig zum Teil unglaublich verzwickten, aber historisch verbürgten Tänzen; außerdem die Originalsongs von '62, die bestechen durch realistische Texte, wie sie heute nicht mehr möglich sind: „Put some gravy on my mashed potatoes!“
So schwachsinnig die ganze Geschichte auch ist, Waters präsentiert sie intelligent und sehr komisch. Hinter all dem Gaga ist „Hairspray“ eine genau konzipierte Komödie mit gutem Timing und witzigen Dialogen, bei der man sich dumm und dämlich lachen kann, ohne daß ein Gag wirklich dumm oder geschmacklos wäre. „Hairspray“ ist ein anspruchsvoller Schundfilm, oder wie Pauline Kael sagt: „ein Stück Pop -Dadaismus“.
Wilfried Hippen
Schauburg ab Freitag, 21 Uhr
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