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LEGENDE VOM ARMEN TRUNKENBOLD

■ Der georgische Maler Niko Pirosmani im Kunstforum

Daß der Maler Niko Pirosmani ein arger Trunkenbold gewesen sei, könne man schon daran sehen, daß er Pferde mit acht Beinen male, erzählte mir Qpfer, der Redakteur - allein, er muß selbst einen etwas unsteten Blick auf das Bild „Schenke 'Weißer Duchan'“ geworfen haben, denn das achtbeinige Wesen, das dort einen Wagen mit Blumensträußen schwenkenden Fahrgästen zu dem vor der Tür wartenden Wirt einer Schenke zieht, stellt ziemlich offensichtlich zwei ausgreifende Pferde dar und weil der Leib des vorderen den des hinteren in der Seitenansicht verdeckt, hat Pirosmani, damit niemand glaubt, nur ein Pferd zöge den Wagen, wenigstens alle acht Beine gemalt.

Doch hilft diese mathematische Genauigkeit nicht darüber hinweg, daß Pirosmani ein Säufer war - denn gerade dies ist wichtiger Bestandteil der Legende des Malers, die sich unweigerlich in die Betrachtung seiner Bilder mischt. Das dunkle Wachstuch, das Niko Pirosmani als Material für seine Bilder entdeckte und das ihnen eine erstaunliche Haltbarkeit verleiht, schimmert durch das Grün der Landschaften, das Weiß der Tischtücher und Wolken. Diesen immer gegenwärtigen dunklen Grund unter den Festen und Trinkgelagen nimmt man leicht als Metapher seines traurigen Lebens wahr. Pirosmani malte Wirtshaus-Schilder und Schenken, er porträtierte die trinkenden Gäste auf Wunsch, er tauschte seine Bilder gegen feste und flüssige Naturalien und das Ritual eines georgischen Trinkgelages gehörte zu seinen liebsten Motiven. Die so rührende Einheit seines Lebens und seines Werkes scheint durch den Alkohol gebunden und in ihm zu schwimmen vielleicht dies der Preis für die Naivität.

Für das Bild vom archaischen und patriarchalen, lebenslustigen und schwermütigen, naturverbundenen und wilden Georgien ist Pirosmani eine identitätstiftende Figur geworden. Man suchte zur Zeit seiner Entdeckung um 1912 und sucht heute in ihm ein einfaches und kräftiges Heilmittel gegen die Zustände der Entfremdung. In seinen statuarischen Porträts von Bauern, Straßenhändlern, Handwerkern, Köchen, Fischern und einem Leierkastenmann, in den Hirtenszenen und den nächtlichen Ritten der Räuber, in den Bildern von Bären, Hirschen und Schweinen, in den Osterfesten und den Gelagen von Fürsten und Großfamilien fand man eine sonst verlorene Einheit und Festigkeit des Weltbildes, eine unverwechselbare nationale und religiöse Identität. So wird Pirosmani jetzt als der Maler Georgiens schlechthin stilisiert.

Tamas Sanikidse, der Direktor des Staatlichen Kunstmuseums Georgiens in Tiflis, in dem sich 148 Arbeiten Pirosmanis befinden, beschreibt im Katalog Leben und Legende des Malers. Die spärlichen Daten seiner Biographie bereiten der Romantisierung von Armut, Künstlerelend und besessenem Schaffen einen guten Boden. Niko Pirosmani, 1862 in einer Bauernfamilie geboren, kam mit acht Jahren als Waise in die Stadt Tiflis. Er lernte russisch und georgisch schreiben und lesen und entwickelte als Autodidakt seine Technik, ohne Vorzeichnung und Konturen direkt die Figuren auf das schwarze Wachstuch zu malen. In den Berichten seiner Zeitgenossen über ihn verdichtete sich die Vorstellung von einem Menschen, dessen Leidenschaft zur Malerei ihn unfähig zu allen anderen Geschäften und zu einem normalen bürgerlichen Lebenswandel machte. Vier Jahre arbeitete er bei der Eisenbahn und einige Zeit versuchte er, ein Milchgeschäft zu betreiben - meist aber lebte er wie ein obdachloser Landstreicher. Noch die Umstände seines einsamen Sterbens 1918 gingen in die Legende vom Künstler ein, der „sich im Volk aufgelöst hat“.

Jelena und Wassili Rakitin dokumentieren in ihrem Text Pirosmanis Entdeckung und kurze Rolle in den Ausstellungen der russischen Futuristen. In diesem Gastspiel Pirosmanis unter Intellektuellen, Kunststudenten und den Akademien entflohenen oder von ihnen verwiesenen Künstlern liegt das Muster seiner Rezeption vorgeprägt. Le Dantju, der seine Bilder zuerst nach Petersburg brachte, nannte ihn einen modernen Giotto. Den drei jungen Künstlern aus Petersburg, die ihn in einer Schenke entdeckten, erschienen seine Bilder wie Fresken oder Ikonen. Sie begeisterten sich an seiner ganzheitlichen Weltsicht wie an einem Heilmittel. Wenige Bilder Pirosmanis gelangten nach Petersburg und Moskau und wurden mit den Bildern von Larinow und Natalja Gontscharowa ausgestellt. Dies war provokativ gemeint. Pirosmani wurde als ein urtümlicher Künstler des Orients gesehen, mit dem man der Kunst des Westens eine polemische Spitze entgegenhalten konnte. Die plötzliche Wertschätzung naiver und primitiver Maler spielte wie das Interesse für alte Kulturen eine Rolle im Streit um die moderne Kunst. Mit ihrer Anerkennung wendete man sich gegen Konventionen, Akademismus und Manierismen. Aber eine Auseinandersetzung mit Pirosmanis Arbeit fand in den Werken der ihn entdeckenden Künstler kaum statt.

Eine ähnliche Rolle wie Pirosmani hatte noch vor der Jahrhundertwende Henri Rousseau für die Künstler in Paris gespielt. Gauguins Südsee-Träume und die Wertschätzung Rousseaus, dessen Leben in trister Armut bald dichterische Verklärung erfuhr, entsprangen der gleichen Stimmung der Trauer um das verlorene Paradies.

Anfang der siebziger Jahre setzte eine neue Renaissance und Popularität der naiven Maler ein, emporgetragen von einer der zeitgenössischen Kunstproduktion und ihren Forderungen an den Betrachter feindlichen Stimmung. Als Maler des einfachen Herzens, Maler des Instinkts, die jedes schlichte Gemüt versteht, wurden die Naiven unter eine Schwemme von Autodidakten, Sonntagsmalern und Heimat-Künstlern gemischt. Wenn sich in der Praxis jedermanns Kreativität als jedermanns Konventionalität entpuppte, verabreichte man die historischen naiven Maler und ihre Wertschätzung durch die Intellektuellen als Trost. (Damals bekam ich auf eigenen Wunsch zur Konfirmation ein Buch über die „Naiven der Welt“ geschenkt und daraus flattern mir heute zur peinlichen Erinnerung 'Hör-zu'-Titel-Blätter, Beilagen des Kölner Stadtanzeiger über 81jährige malende Hausfrauen aus Köln -Poll und Unicef-Karten entgegen. Zu der Zeit fiel im Wohnzimmer ein Kandinsky-Druck von der Wand, während die ersten selbstgemalten Bilder meiner Mutter vorerst noch verschämt die Treppe zum Keller schmückten.) Es fällt heute schwer, die Bilder von Pirosmani nicht durch diesen Filter von Kitsch, Postkartenansichten und bemalten Bauernschränken zu sehen.

Katrin Bettina Müller

Niko Pirosmani - Der georgische Maler. Kunstforum der Grundkreditbank. Bis 6.10., täglich außer Mo 9-17 Uhr. Jeden Sonntag um 11.30 Uhr läuft im Arsenal ein 1969 entstandener georgischer Film über den Maler.

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