Das AL-Programm als Comic-Vorlage

■ Die Mitgliederversammlung der Alternativen Liste konnte sich nicht auf ein Programm einigen / „Partei der Unterdrückten“ oder „Partei des ökologischen Unterbaus“

„Wenn Kompromisse nicht mehr reichen - AL“, heißt einer der Wahlsprüche der Alternativen Liste mit dem die WählerInnen für die Igelpartei überzeugt werden sollen. Die Mitgliedervollversammlung (MVV) am letzten Wochenende allerdings hätte die Überschrift verdient, „Wer faule Kompromisse will...“.

Mit einer dünnen Besetzung diskutierten die Alternativen zwei Tage lang über das künftige Wahlprogramm für die nächste Legislaturperiode. Gestern nachmittag saß man dann ratlos da. Zu den entscheidenden Abstimmungen waren von den 3.000 Mitgliedern gerade mal 60 gekommen. Am Ende standen Bruchstücke eines Wahlprogramms, das, getragen von wechselnden Mehrheiten, die die ganze Widersprüchlichkeit der Flügel in sich birgt.

Als Leitantrag setzte sich am Sonnabend nachmittag mit knapper Mehrheit der Vorschlag der vom Delegiertenrat gewählten Programmkommission (PK) durch. Doch wer glaubte, daß dies auch eine politische Aussage in Richtung Öffnung für neue Gedanken und Wählerschichten, Realpolitik und Bündnisbereitschaft war, hatte sich getäuscht. Denn als erster Änderungsantrag wurde die Präambel, die politische Grundaussage, vollständig ausgewechselt. Beinahe zum Bruch kam es beim Punkt „Berlin baut um“, als die MVV bei der Debatte über die wirtschaftspolitischen Grundsatzaussagen im Abstimmungchaos unterging.

Festgebissen hatten sich die DiskutantInnen schon am Samstag an der alten Frage „Wie halten wir's mit der SPD?“. Der Programmkomission (PK) wurde vorgeworfen, in ihrer Präambel die bedingungslose Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten zu propagieren.

Die mehrmalige Intervention von Hilde Schramm (Mitglied in der PK), doch auch noch den nächsten Absatz zu lesen, in dem sehr wohl Bedingungen formuliert seien, fand wenig Gehör. Obwohl die Bündnisfrage derzeit keine Rolle spielt - die SPD schielt bundesweit in Richtung Liberale, und Walter Momper haßt die AL -, wird sie immer wieder zum Kristallisationspunkt des Richtungsstreits.

Konsens brechen

Bernd Köppl, Anwärter für die nächste Abgeordnetenhauswahl warnte ganz eindringlich davor, in den alten Strukturen zu verharren. Die PK habe versucht, die neuen Entwicklungen in der Linken aufzunehmen. Man müsse weg von den alten Schuldzuweisungen - hier die böse Industrie, dort das geknechtete Volk.

Dieser Ansatz sei eben gerade nicht, wie die KritikerInnen ihm und der PK vorwarfen, „reformistisch“, sondern radikal. Die fortschrittlichsten Teile der Stadt, zum Beispiel Friedensgruppen, führte Köppl an, „machen Feste und verkaufen Getränke in Dosen“. Die AL müsse sich überlegen, wie der „massenhafte Konsens“ in dieser Industriegesellschaft, der Umweltzerstörung akzeptiert, gebrochen werden könne. Darauf versuche das Programm der PK Antworten zu finden, sagte Peter Lohaus, die Lage sei zu ernst, um auf alte „Vesicherungen“ zurückzugreifen.

Doch der Bedarf nach schlüssigen, bewährten Erklärungen war groß. „Ihr wollt zurück in den Schoß dieser Gesellschaft“, warf Pressesprecher Dirk Schneider den Abgeordneten in spe vor. Die PK habe ein mittelständisch orientiertes Programm vorgelegt. Schneider will, daß die Al ein „Sprachrohr für die Unterdrückten bleibt“.

Kompromisse gesucht

Die Bedeutung der Frage, ob die AL sich Gedanken über Umverteilung von Arbeit und Einkommen machen, Konsum- und Verbraucherkritik üben, also mit dem ökologischen Umbau hier und heute beginnen soll, wurde ganz unterschiedlich bewertet. Die „radikalste“ Position hierzu vertrat Udo Knapp. Er forderte den Bruch. Die AL solle sich für eine Alternative entscheiden, entweder weiter die „verschwommene SED-Linie“ zu verfolgen oder konsequent eine ökologische Politik zu entwickeln.

Doch da, das offenbarte diese Debatte, will keiner 'ran. Der Geschäftsführende Ausschuß bemühte sich um Kompromisse. Den „Kampf zweier Linien“ gebe es gar nicht, beschwichtigte Christian Ströbele und Urs Müller-Plantenberg rief verzweifelt in die Runde, es müsse doch „Formulierungen“ geben, die beide Positionen tragen. Das wird sich erst am 1. Oktober bei der nächsten MVV herausstellen. Gestern kam es zu keiner Entscheidung.

Nur über eines herrschte heitere Einigkeit: Der Karikaturist Seyfried soll das Wahlprogramm, welches auch immer, als Comic darstellen.

Brigitte Fehrle