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Solidaritäts-Appelle für Aussiedler

■ Kirche, Kanzler, CDU und ZDF werben für Aussiedler / Flüchtlingsrat fordert gleiches Engagement für Asylsuchende / Verband der Mittel- und Ostdeutschen für Hilfe in Heimatländern

Berlin (dpa/taz) - Mit schönen Worten und beschwörenden Appellen haben führende Politiker und gesellschaftliche Institutionen am Wochenende um Verständnis für die deutschstämmigen Aussiedler aus Polen, der UdSSR und Rumänien geworben. Der Bischof von Essen, Kardinal Hengsbach, forderte in einem Caritas-Wort zum Sonntag die Christen inständig auf: „Machen Sie die Beheimatung unserer Brüder und Schwestern aus den osteuropäischen Ländern zu Ihrer persönlichen Sache.“ An die Kirchengemeinden appellierte der Bischof, nachzudenken, wie man den Aussiedelern mit freiem Wohnraum, mit Wohnungseinrichtung oder mit der Hilfe bei Behördengängen „beistehen“ könne. Kanzler Kohl nutzte den Bundeskongreß des Bekleidungshandwerks in Berlin zur Fürsprache für die Aussiedler. Man solle sie mit „offenen Armen empfangen“ und in ihnen auch „einen Zuwachs an Talenten, an Tüchtigkeit und Fertigkeiten, an Leistungsbereitschaft und gutem Willen sehen“.

Die CDU hat inzwischen eine „Aktion Willkommen“ gestartet, und das ZDF schaltete sich in die Kampagne mit einer Vermittlung von Patenschaften für Aussiedler ein. Bayern will bis 1990 allein 100 Millionen Mark für Aussiedler bereitstellen, und ab 1.Oktober sollen auch Zivildienstleistende zu deren Betreuung eingesetzt werden.

Angesichts von so viel öffentlichem „Goodwill“ hat der Berliner Flüchtlingsrat Bundespräsident von Weizsäcker in einem offenen Brief zu einem öffentlichen Eintreten für die Lebensrechte und Menschenwürde aller Flüchtlinge unabhängig von der Volkszugehörigkeit aufgefordert. In dem am Samstag veröffentlichten Schreiben zum „Tag des Flüchtlings“ am 1.Oktober wendet sich die Flüchtlingsinitiative gegen alle politischen Entscheidungen, die nur einseitig Aussiedler fördern.

Mit kritischen Worten hat auch der Zentralverband der Mittel- und Ostdeutschen e.V. in die Debatte eingegriffen. Der Verband wendet sich gegen die „Heim-ins- Reich-Parole der Vertriebenen- Altverbände“ und fordert die Politiker auf, neben Hilfsmaßnahmen hier in den Aussiedlerländern selbst für eine Verbesserung der Lebenssituation zu sorgen. „Die Einbahnstraße Totalaussiedlung“, so schreibt der Verband, sei eine „politische Sackgasse“. Nach jüngsten Informationen sind in diesem Jahr bisher 128.000 Deutschstämmige aus osteuropäischen Staaten in die Bundesrepublik gekommen, mehr als die Hälfte stammt aus Polen.

Ve.

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