Aussiedler im Hochhaus-Ghetto

■ Gewoba kann endlich Hochhauswohnungen vermieten / Kinder von Spätaussiedlern gehen in den Bremer Schulen unter / Franke will jetzt mindestens zehn LehrerInnen neu einstellen

Seit Jahren werden in Bremen Schulen geschlossen, weil es an Schülern fehlt. Die Grundschule an der Andernacher Straße in Osterholz Tenever platzt indessen aus allen Nähten. Sie ist eine der größten Grundschulen der Stadt, alle vier Jahrgangsstufen sind mit sechs Klassen besetzt. Zwei vierte Klassen sind seit Beginn des Schuljahrs in die Sekundarschule in der Koblenzer Straße ausgelagert worden.

Der Grund der wundersamen SchülerInnenvermehrung: Der Zuzug von Spätaussiedlern aus den Übergangslagern in die ungeliebten Hochhäuser an der Autobahn. Von den 531 Schülern, die im August in den Schullisten standen, kamen 90 aus Spätaussiedler-Familien. Insgesamt stammen etwas mehr als die Hälfte der SchülerInnen aus dem Ausland und sprechen mehr oder weniger gut deutsch.

Ein Beispiel: In einer ersten Klasse sprechen fünf der 23 SchülerInnen so wenig deutsch, daß sie ihre Lehrerin Birgit Neher nicht verstehen. Die fünf kommen aus Polen und der Türkei. Obwohl der Unterricht an ihnen spurlos vorbeigeht, müssen sie fein still sein, und werden deshalb traurig und aggressiv. Zwar gibt es an der Schule LehrerInnen, die für den Unterricht mit ausländischen Kindern speziell ausgebildet

sind. Doch aufgrund des Lehrermangels an der Schule sind sie mit anderen Aufgaben betraut. Deshalb fällt der dringend nötige Förderunterricht für alle ersten Klassen in diesem Schuljahr aus.

So ähnlich wie in der Andernacher Straße sieht es in anderen Bremer Schulen aus, die in der Nähe von Hochhaus -Wohngebieten liegen: in der Neuen Vahr, in Lüssum, bei der Grohner Dühne. Jahrelang standen dort Wohnungen der Gewoba (früher Neue Heimat) leer, weil sie zu ungemütlich und zu teuer waren. Die Aussiedler sind für die Wohnungsbaugesellschaft die langersehnten neuen Bewohner, deren Mietzins sicher ist, weil er häufig vom Sozialamt bezahlt wird.

1987 kamen gut 1.100 deutschstämmige Spätaussiedler nach Bremen, in diesem Jahr sollen es 2.000 werden, schätzt die Bremer Sozialbehörde. Hunderte stauen sich zur Zeit in den Übergangslagern, wo sie unter bescheidensten Verhältnissen hausen. Wo sie eigentlich nur wenige Wochen wohnen sollten, bleiben viele ein halbes Jahr und länger hängen. Axel Hausmann vom Arbeiter

Samariter-Bund, der die Aussielder betreut: Sie bleiben so lange im Lager, weil sie keine Wohnung finden, und weil es so lange dauert, bis die Behörden ihnen ihre Papiere ausgestellen.“

In den vergangenen Tagen haben Spitzenbeamte der verschiedenen Senatsressorts zusammengessen und über Hilfen für die Aussiedler beraten. Ende der Woche soll ein Papier mit Lösungsvorschlägen fertiggestellt sein. Schwerpunkte: Wohnungsbau, soziale Integration, Schulerziehung.

Im Schulressort scheinen die Vorstellungen am weitesten fortgeschritten zu sein: Mindestens zehn LehrerInnen sollen noch in diesem Jahr neu eingestellt werden, die den Aussiedlerkindern Unterricht in ihrer Muttersprache erteilen können. Außerdem soll es eine Reihe von Langzeit-ABM-Stellen geben, deren InhaberInnen zum Schluß Anspruch auf eine feste Anstellung haben. Und auch der Schule in der Andernacher Straße hat Senator Franke etwas versprochen: Drei neue Lehrer und eine ABM-Kraft.

Michael Weisfeld