: Für ein paar Tage eine neue Zeitung
Von einem breiten Spektrum getragen, soll während der Herbsttagung täglich der 'Zahltag‘ kostenlos verteilt werden ■ Aus Berlin Wolfgang Gast
„Berlin, das ist deine Zeitung“, heißt der letzte Werbeslogan der 'Berliner Morgenpost‘, kurz und ungeliebt „Mopo“ genannt. In veränderter Form soll er nun für den 'Zahltag‘ werben. Von einer Vielzahl von Gruppen getragen, wird es in der IWF-Stadt für einige Tage eine zusätzliche Zeitung geben. Heike, eine der MitarbeiterInnen des Zeitungsprojekts hat sich zum Treffen verspätet; sie mußte erst den Mopo-Slogan für den Titel des 'Zahltags‘ abfotographieren. Andere MitarbeiterInnen des Projekts tippen derweil die Manuskripte in die Terminals der Personal -Computer. Nach der Texterfassung spuckt der Laserdrucker die Fahnen aus, und anschließend werden sie auf vier Lichttischen zur etwa DIN A3 großen Zeitung montiert.
Täglich soll das Blatt erscheinen, vier Seiten haben, in einer Auflage von 50.000 Exemplaren erscheinen - und nichts kosten. Finanziert wird das einmalige Projekt durch Spenden aus dem Trägerkreis, der von der Alternativen Liste über Uni -Studentenausschüsse, das „Aktionstage-Plenum“ der autonomen und antiimperialistischen Gruppen bis hin zur Roten Hilfe, dem Gesundheitsladen und dem Netzwerk reicht. Wenn die Verteilung klappt, wird um den 'Zahltag‘ nicht herumzukommen sein.
Zwei Seiten befassen sich mit einem Schwerpunktthema, die beiden anderen mit den Tagesereignissen. Geplant ist ein Service-Teil, der neben Terminen Anlaufstellen und andere organisatorische Hinweise enthält. Ferner soll der 'Zahltag‘ über die vielfältigen Aktionen, den Gegenkongreß und das Basso-Tribunal berichten.
Die einzelnen Schwerpunktthemen der Zeitung entsprechen den Schwerpunktthemen der Aktionswoche. Der Ermittlungsausschuß, die Rote Hilfe und die Sani-Gruppen erstellen einen regelmäßigen „Repressionsteil“, und eine autonome Frauenredaktion „wird kritisch-feministisch die Berücksichtigung der jeweils besonderen Situation von Frauen in allen Artikeln beäugen - und die Zeitung aktiv mitgestalten“.
Repression und die Möglichkeit, sie zu umgehen, sind Schwerpunkt der ersten Ausgabe. Und weiter wird in der Nummer eins zum Gegenkongreß und den Demonstrationen mobilisiert.
In den folgenden Ausgaben sollen die Schwerpunkte auf die Themenkomplexe Frauenarbeit, Bevölkerungspolitik, Verschuldungs- und Verelendungspolitik und Internationalismus gelegt werden. Und in der sechsten Ausgabe vom 30. September wollen die HerausgeberInnen eine erste Analyse und Einschätzung der Anti-IWF-Kampagne versuchen. Sollte es aus aktuellem Anlaß notwendig werden, kann das Konzept aber noch umgeworfen werden.
Ansprechpartner der Zeitung ist jeweils die „Tagesredaktion“ die im Lateinamerika-Zentrum im Berliner Stadtteil Schöneberg sitzt. Sie plant und koordiniert die einzelnen Ausgaben; ist Kontakt für die verschiedenen Gruppen und beauftragt MitarbeiterInnen mit der Berichterstattung. Gebildet wird sie von Mitgliedern der Gruppen, die die Hintergrundseiten verfaßt haben, die an diesem Tag erscheinen. Allabendlich treffen sich die MitarbeiterInnen, um Probleme zu diskutieren und Entscheidungen zu fällen.
Insgesamt sind an die 40Personen an der Produktion des 'Zahltag‘ beteiligt, und nochmal soviele haben sich für den täglichen Vertrieb zuständig erklärt. Morgens gegen 10 Uhr soll der 'Zahltag‘ ausgeliefert und vor Schulen, ausgesuchten Betrieben, Kaufhäusern, U-Bahnhöfen, Cafes und Kneipen verteilt werden.
„Drei Bereiche sind für die Zeitung von zentraler Bedeutung“, erläutert einer der Aktivisten des Projekts: 'Zahltag‘ soll ein Forum für alle Initiativen und Organisationen sein, die gegen die Herbsttagung Kundgebungen und Aktionen durchführen oder Gegenveranstaltungen organisieren. Personen und Gruppen sollen ansprochen werden, die normalerweise von Flugblättern und Broschüren nicht erreicht werden.
Das sei insbesondere deshalb wichtig, weil in den letzten Wochen in der Berliner Presselandschaft „eine tierische Hetzkampagne gegen die GegnerInnen von IWF und Weltbank läuft“, sagt der Zeitungsmacher. Auch der in den bürgerlichen Medien angelegten „Desinformationskampagne“ über die Politik der Bänker soll durch die Zeitung entgegen gearbeitet werden. Drittes zentrales Anliegen, so die 'Zahltag'-MitarbeiterInnen, ist der Versuch, schon im Vorfeld eine breite Gegenöffentlichkeit zu organisieren, die der befürchteten - und teilweise schon angelaufenen Repressionswelle etwas entgegensetzen kann.
Fazit: „Möglichst schnell, gut und ausführlich“ soll über die Randale der Polizei berichtet werden, um es ihnen möglichst schwer zu machen, „ihre Knüppelorgien, noch dazu mit westdeutschen Polizisten, abzuziehen“.
Die Tagesredaktion des 'Zahltag‘ ist im Lateinamerika -Zentrum (LAZ), Crellestraße 22, 1000 Berlin 62 zu erreichen.
Tel.: 7881595
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