ECHTE UND SCHLECHTE DUPLIKATE

■ Transmission II im Tempodrom

Nichts klang so, wie man dachte. Oder beinahe fast nichts. Niemand hörte das, was der neben ihm hörte. Oder beinahe fast niemand. Ein Kolonialwarenladen für Musik. Klatschende Begeisterung neben blankem Entsetzen, gähnende Langeweile neben leuchtaugigem Vergnügen. Gummibären mit Lakritze, saure Drops und Weingummi, jeder mit seiner Plastiktüte und der Schaufel, gewogen wird zum Schluß.

Abteilung Mischmasch

„The Blech“ leider nicht Pig Pag, leider nicht Rip Rig + Panik, leider nicht Achternbusch. Dafür kreislerten sie zwischen Brecht und Dada, Kleindarsteller mit Humor, oh Gott, der Humooor! Vielleicht waren sie auch nur miserabel ausgesteuert, wie so viele an diesen Abenden - die Baßtrommel ließ die Hosenbeine flattern und die Bauchdecke vibrieren, die Stimme hatte keine Chance, aber daran lag es nicht. Sie können viel und können sich deshalb nicht entscheiden. Gerader Rock, mit Schlagzeug, Baß und Gitarre oder Pocket-Trumpet, und hier ein Zitat oder dort eine kleine Parodie. Sie müßten nicht so schlecht sein wie an diesem bunten Abend.

Abteilung Mix-Max

Eastbam ist so gut wie Westbam ist so gut wie Eastbam. Eastbam dreht die Tonbandspulen, Westbam die Platten. Westbam sieht so dezent östlich aus wie Eastbam westlich. Der Rap Eastbams ist nicht mehr als Comecon-Rap zu identifizieren. Es ist geschafft. Die Sowjetunion ist auf den Westen gekommen und wir können das nur begrüßen. Nur einmal, als Eastbam zu einem schweren, getragenen Lied über dem kratzenden Rhythmus und den ziehenden Melodieschleifen ansetzt, ist die Begegnung der dritten Art zu spüren. Ansonsten: Monkey say, Monkey do.

Abteilung Fünfjahresplan Lust

Die Populären Mechaniker haben einen Plan. Eine Abteilung Bläser und eine Abteilung Gitarren. Ein wunderschöner Plan: zwei Klangmauern und dazwischen rhythmische Wachtürme. Henry Manzini gegen Rock'n Roll, Booker P and the MGs gegen Glenn Branca, Globe Unity gegen Count Basie. Sergej Kurjochin taumelt, hüpft und sticht mit den Fingern in die Luft. Tief, tiefer, ja ganz tief. Weg, kommen lassen, hoch, höher, du nicht, wo bleiben denn die anderen? Nö? Das, was jeder kann, wird gespielt - ins Gigantische aufgeblasen, endlos wiederholt. Eine Jam Session der musikalischen Internationale. Die Zeltwände hätten einstürzen können, wenn da nicht diese alberne Bühnenshow gewesen wäre. Sowjetsoldaten mit Geige, Tanzbären, russische Volksliedparodien mit Cha-Cha-Cha-Einlagen, Schwitters Figuren, Gehops mit Blumenschlachten - jeder durfte mal. Eine Verbrüderung der schlechten Scherze, das drohende Gespenst der fallenden Mauer. Gorbatschow schütze die Sowjetunion vor dem geschmacklichen Sonderangebot des Westens, der rationierte östliche Humor auf der Bühne war schon billig genug. Begeisterung im Publikum - der zinsgünstige Ostkredit auf kultureller Vorschußbasis. Trotzdem, der Fünfjahresplan der Mechaniker ist erfüllt worden: Chaotische, rhythmische, hypnotische Baßgitarrenmusik - das Ende ist noch nicht in Sicht.

Abteilung „Ich bin es“

Die Musik ist der Stil. Der Stil ist die Musik. Die Einstürzenden Neubauten ruhen fest in sich. Das Doppelgänger -Syndrom: zu hören ist nur, was du hören kannst. Die Neubauten mischen keine Musikstile, sondern sich selbst. Sprache, Seele, Körper - umgestülpt, abgehäutet, ausgespuckt und wieder gefressen. Eine traditionelle Rockband, die in ihren Eingeweiden wühlt. Die Steingeräusche, das Zerren der Gitarre, die Metallschläge der Stimme sind keine Einleitungen, keine Teile, keine Versatzstücke, die auch anders sein könnten, sie sind nur das Abbild des echten Doppelgängers. Friß, stirb oder geh! Es ist alles in dir, Transmission überflüssig.

Stange auf Stahl, Holz auf Fell, Hammer auf Stein: die Performance des Neubauten-Schlagzeugers Mufti mit Caspar Brötzmann an der Gitarre als rhythmische Materialmusik. Ein reines, pulsierendes Herz, eine artige Verbeugung, befreiend und langweilig zugleich. Ein Herz ist zuwenig.

Abteilung Heimweh

nach dem Fahrstuhl

Heiner Müller sitzt auf der Bühne. Die Zigarre zwischen Mittel- und Zeigefinger, der Rest klopft den Rhythmus: deutsche Literatursprache, rechteckige Sätze, ineinander verschränkt. Holger Hiller deklamiert Teile des Textes „Der Mann im Fahrstuhl“ in deutsche Kunst-Ekstase-Sprache. Arto Lindsay spricht amerikanische Musik. „Worin besteht mein Verbrechen?“ - „What's my crime?“ Mischungen als Duplikat gleichzeitig. Arto Lindsay flüstert verweht und träumt südamerikanische Musik. Nur ein Bankangestellter aus New York, der seine rote Gitarre mit der kühl berechnenden Verzweiflung eines Wahnsinnigen anreißt, kann wirklich Bossa -Nova singen. Die einzig mögliche Mischung ist die Liebe zum eigenen Irrsinn im Bild hinter dem Spiegel. Die Musiker sitzen an Schreibtischen, kreischen in die Computerschirme. Johannes Bauer (Posaune) und Dietmar Diesner (Saxophon) lassen vergessen, daß Don Cherry nicht kommen konnte. Ferd Frith (Gitarre) und Charles Hayward (Schlagzeug) als Motoren, Heiner Goebbels als Fahrstuhlführer am Synthesizer

-vertrackt, intelligent und atemlos dicht. Das Beste, was seit langem zu hören war. Jedem sein Doppelgänger, manches sind nur schlecht geschminkte Schaufensterpuppen, auf andere hat man lange gewartet. „Irgendwann wird der andere mir entgegenkommen, der Antipode, der Doppelgänger mit meinem Gesicht aus Schnee. Einer von uns wird überleben.“ Als Zugabe sprach Heiner Müller einen Originaltext als Kommentar zum IWF-Kongreß. Keine Frage, ums Überleben allein geht es nicht.

Abteilung Abgesang

„19 Jahre - ungefähre Kunst“. Es war zu eindeutig. Irgendwann werden sie ihren Kredit zurückbezahlen müssen. In ein, zwei Jahren, wenn sie uns endgültig gleichen, wenn Glasnost und Perestroika der Sowjetunion den Rest gegeben haben, wenn die Exotik im Neckermann-Katalog zu buchen ist. Nur die eigenen Duplikate werden die Transmission überstehen.

Konrad Heidkamp