: Neue Eskalation in den besetzten Gebieten
Vier Tote und über fünfzig Verletzte während eines Generalstreiks in den israelisch besetzten Gebieten / Israel setzt Hartplastikgeschosse ein / UNO-Organisation: Zahl der Opfer seit Juli versechsfacht / Aufstands-Führung kündigt weitere Aktionen und neuen Generalstreik an ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
In den israelisch besetzten Gebieten fanden am Montag die schwersten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und israelischen Soldaten seit mehreren Wochen statt. Allein an diesem Tag wurden vier Palästinenser getötet und über fünfzig verletzt. Ein Generalstreik-Aufruf der Palästinenser war weitgehend befolgt worden. Am gestrigen Dienstag wurden bis Redaktionsschluß abermals fünfzehn Palästinenser angeschossen, elf davon während eines massiv befolgten spontanen Generalstreiks im Gaza-Streifen.
Die hohe Zahl der Verletzten wird auf neue Schußbefehle und den Einsatz von Hartplastikgeschossen durch die Armee zurückgeführt, die von israelischen Militärs als „nicht -tödliche Mittel zur Aufstandskontrolle“ bezeichnet wurden. Palästinensische Kreise weisen dagegen darauf hin, daß die neuen Geschosse im Falle von Verletzungen nicht weniger gefährlich seien als scharfe Munition. Die rapide Zunahme von Opfern durch Schußwaffengebrauch hat die UNO -Flüchtlingshilfeorganisation UNRWA auf den Plan gerufen. In einer ungewöhnlich scharfen Erklärung hieß es, die Zahl der von den Soldaten erschossenen oder angeschossenen Palästinenser sei seit Juli um mehr als das sechsfache angestiegen. Der UNRWA-Repräsentant sprach von einem „klar erkennbaren Trend hin zum vermehrten Gebrauch scharfer Munition, der nicht gerechtfertigt werden“ könne. Die Einführung von Plastikgeschossen im August habe die Hemmschwelle für den Gebrauch von Schußwaffen weiter gesenkt.
Israels Verteidigungsminister Jitzhak Rabin hatte vor einer Woche erklärt, die Verwendung der neuen Plastikgeschosse werde kurzfristig mehr Verletzte fordern, dann aber „die Unruhen zu einem Ende bringen.“ Rabin hatte den Israelis in diesem Jahr mehrfach versprochen, daß der Einsatz neuer Mittel oder Taktiken das entscheidende Mittel zur Beendigung des Aufstands seien. Doch keine dieser Voraussagen hatte sich bewahrheitet. Auch die zahlreichen Festnahmen von Palästinensern, denen vorgeworfen wird, Mitglied eines der Volkskomitees zu sein, hat nicht zu einem Nachlassen der Aktivitäten geführt, wie der Generalstreik vom Montag erneut zeigte. Ungeachtet einer Ausgangssperre, die über die meisten Flüchtlingslager im Gaza-Streifen verhängt worden war, und der Absperrung zahlreicher Gebiete gegen Journalisten kam es landauf, landab zu Demonstrationen und Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten, die versuchten, den Streik zu brechen.
In dem neuen 26.Kommunique der Vereinigten Führung des Aufstands, das derzeit in den besetzten Gebieten zirkuliert, sind weitere Generalstreiks für den 3. und 9.Oktober angekündigt. In dem Flugblatt werden auch Forderungen an die Adresse des Weltsicherheisrates gerichtet, beispielsweise die Durchsetzung eines israelischen Truppenrückzugs aus der Westbank, dem Gaza-Streifen und Ostjerusalem, die Auflösung der jüdischen Siedlungen, die Freilassung der Gefangenen und die Rückkehr ausgewiesener Palästinenser. Gleichzeitig schlägt die Führung des Aufstands vor, die UNO solle die Kontrolle über die besetzten Gebiete übernehmen, bis das palästinensische Recht auf Selbstbestimmung durchgesetzt ist.
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